“Mit Merkel und der Großen Koalition kann es keinen Politikwechsel geben!”

Unter dem Druck der Ablehnung der großen Mehrheit der SPD-Parteibasis und der Gewerkschaftskollegen und um den Forderungen der Gewerkschaftsführungen nach „sozialen Korrekturen“ an der Euro-Rettungs- und Agenda-Politik Rechnung zu tragen, versuchen die SPD-Führung und auch Merkel den Koalitionsverhandlungen das Etikett von Korrekturen für einen politischen Wechsel aufzudrücken.

Und doch eröffnet Merkel auf dem EU-Gipfel die Offensive für die neue Milliardenflutung zur Rettung der Banken, finanziert durch die Verschärfung der Spardiktate und die Verpflichtung aller Regierungen darauf, die Strukturreformen gegen die aufbrandenden Widerstände voranzutreiben. Das ist das wahre Programm, das allen Völkern Europas diktiert wird und das Merkel, gestützt auf die Große Koalition mit der  SPD, natürlich auch Deutschland verschreiben will.

Auch der EU-Kommissionspräsident, Barroso, hat gegenüber der neuen Bundesregierung die Erwartung formuliert, dass sie weiter sparen soll, dass es „nicht weise wäre, den bisherigen Weg der Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen (…) zu verlassen“.

„Wir (geraten) auf eine Rutschbahn in Richtung Große Koalition, von der wir nicht mehr runterkommen“, warnt Klaus Barthel (Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD – AfA). Und selbst wenn sich die Union auf den gesetzlichen Mindestlohn einlassen sollte, „habe ich die Sorge, dass wir einen viel zu hohen Preis dafür zahlen” (zit. nach ZEIT ONLINE, 20.10.2013).

Dem Gebot der EU folgend, ist die Einhaltung der Schuldenbremse erklärtermaßen für die Union wie für die SPD-Führung absolutes Gesetz.

Für den bisherigen CDU-Finanzminister Schäuble steht fest, dass es ab 2015 keine Neuverschuldung mehr geben darf, um in den folgenden Jahren mit dem Schuldenabbau zu beginnen. Dabei klammert sich Schäuble, entgegen eigenen Skrupeln, an die Hoffnung auf eine Steigerung des Wirtschaftswachstums und setzt auf den brutalen Sparkurs der Länder. Einfach ausgeklammert werden die auf ihn zu rollenden schweren Belastungen durch die Euro-Krise.

30 Milliarden Euro erhofft sich Schäuble trotz aller Warnungen für die nächsten vier Jahre an jährlichen Steuermehreinnahmen. Davon soll ein Drittel für Investitionen ausgegeben werden.

Eine Umkehr des jahrelangen Kaputtsparens gegenüber der öffentlichen und sozialen Infrastruktur?

Allein der tatsächliche Investitionsstau der Kommunen beträgt 130 Mrd. Euro. Darüber hinaus müssen in Kitas, Schulen und Universitäten künftig bis zu 45 Mrd. Euro jährlich investiert werden, bei den öffentlichen Krankenhäusern sind es 50 Mrd. Euro. D.h. der notwendige Finanzierungsbedarf liegt um ein Vielfaches höher.

Die Logik, der CDU wie SPD folgen, verlangt, dass die Kosten für punktuelle Korrekturen an der Agenda-Politik, unter dem Diktat der Schuldenbremse und der Wettbewerbsfähigkeit durch entsprechende Kürzungen an anderen Stellen und durch eine generelle Fortsetzung der Agenda-Reformen kompensiert werden.

„Alle Menschen sollen auch im Alter genug Geld zum Leben haben“, das war eines der wichtigsten Wahlversprechen der SPD-Führung. Doch in ihrer Bereitschaft, der Union in der Rentenfrage entgegenzukommen, fordert die SPD-Führung weder, dass die drastischen Rentenkürzungen zurückgenommen werden, die Hunderttausende der Altersarmut ausliefern, noch die Aufhebung der Rente mit 67. Geblieben ist, dass Versicherte nach 45 Versicherungsjahren mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen können und dass langjährig Versicherte eine Mindestrente in der Nähe von 850 Euro erhalten sollen. Davon können nur Versicherte mit langen Beitragszeiten, d.h. vor allem Männer mit höheren Renten profitieren, während die große Mehrheit der Rentner und Geringverdiener leer ausgeht. Die Ausweitung der Altersarmut wird dadurch nicht verhindert. Die Kosten für diese „Reform“ sollen – wie auch eine Anhebung der Mütterrenten – nach dem Willen der Union auf keinen Fall aus Steuermitteln, d.h. durch Steuererhöhungen finanziert werden, sondern aus der Rentenkasse, was unausweichlich die Anhebung des Beitragssatzes erfordert, wofür alle Arbeitnehmer dann zur Kasse gebeten werden.

Für die SPD- und Gewerkschaftsführung ist der Mindestlohn die zentrale Forderung zur Rechtfertigung des Gangs in die Große Koalition:

der einheitliche, gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro – ohne Differenzierung nach Regionen und Branchen, worauf die Merkel-Union und das Kapital aber bestehen.

Unabhängig von dem schließlichen „Verhandlungs“ergebnis, ob das mit einer möglichen Stufeneinführung und mit zahlreichen Ausnahmen und Abweichungen am Ende doch als der von allen befürchtete Flickenteppich daher kommt, zunächst bedeutet dieser Mindestlohn, dass Millionen Arbeitnehmer, die aus ihren gewerkschaftlich garantierten Flächentarifverträgen hinausgeworfen wurden, und die mit ihren Gewerkschaften den Kampf für ihre Wiederintegration in tariflich und gesetzlich geschützte Arbeitsplätze führen wollen, dass diese Kollegen mit einem Armutslohn abgespeist werden. Und dass niemand die Flucht von Unternehmen aus diesem Mindestlohn kontrollieren kann.

In der Kommission, die später über die Höhe des Mindestlohns beschließen soll, stehen die Gewerkschaften den Vertretern der Arbeitgeber und den Ökonomisten und schließlich der Regierung wie ohnmächtige Bettler gegenüber. Denn es geht nicht um freie Tarifverhandlungen, in denen die Gewerkschaften sich auf ihr Streikrecht und ihre Streikfähigkeit stützen können.

Für die Arbeitgeber und Merkel wie für das Gebot der Wettbewerbsfähigkeit der EU ist aber klar, dass die „Kosten“ für diese punktuelle Lohnkorrektur im Billiglohnbereich durch stärkere Flexibilisierung und  weitere Flucht aus den Flächentarifverträgen, d.h. durch Senkung der Arbeitskosten für die Mehrheit der noch tarifgebundenen Arbeiterschaft „kompensiert“ werden muss!

Um das „gemeinsam und sozialverträglich“ zu gestalten und für die Kollegen akzeptabel zu machen, dafür hat Merkel die Gewerkschaften schon eingeladen, in einem „Bündnis für Arbeit“ an der Seite der Arbeitgeber und der Vertreter der Großen Koalitions-Regierung Platz zu nehmen.

Sozialdemokraten warnen davor, dass der Gang in die Große Koalition die Partei auf einen selbstmörderischen Kurs treibt; eine Gefahr, auch für die Gewerkschaften, die in eine „kritische“ Begleitung der Politik  der Großen Regierungskoalition eingebunden werden sollen.

Die SPD-Führung zielt dagegen bei den Verhandlungen um „soziale Korrekturen“ darauf ab, gegenüber den Delegierten des SPD-Konvents und des Bundesparteitags, den Eintritt in die Große Koalition zu rechtfertigen. Doch das absolute Misstrauen und die massive Ablehnung der Großen Koalition und der Fortsetzung der Euro-Rettungs- und Agenda-Politik durch die Mehrheit der Mitgliedschaft, und erst recht der Arbeiterschaft, kann sie damit nicht überwinden.

Um zu helfen, dass sich diese Ablehnung als eine politische Kraft organisieren kann – im Kampf gegen die Bildung einer Großen Koalition Politik – engagieren sich Sozialdemokraten und Gewerkschaftskollegen  bundesweit für die Unterschriftensammlung „Nein zur Großen Koalition – mit Merkel kann es keinen Politikwechsel geben“. Sie laden SPD-Mitglieder und Kollegen ein, selbst dafür aktiv zu werden und auch in ihren  Gewerkschaften für das Nein zur Großen Koalition einzutreten.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 309 vom 31. Oktober 2013

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