SPD-Parteibasis mischt sich ein

Der von dem SPD-Parteivorsitzenden und der Parteiführung offensichtlich verfolgte Kurs, die SPD in eine Große Koalition einzubinden, hat ein wahres Aufbäumen der Parteibasis ausgelöst.

In zahllosen Briefen, in Beschlüssen, Anträgen und Erklärungen, haben Mitglieder, haben lokale Basisgremien der Partei, der SPD-Arbeitsgemeinschaften wie die AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD), die Jusos und sozialdemokratischen Frauen u.a. der Parteiführung ihr entschiedenes Nein zur Großen Koalition erklärt.

Sie geben der Ablehnung der Zweidrittel- Mehrheit der SPD-Mitglieder eine politische Stimme. Einer Ablehnung und auch Wut, die sich bei den Millionen Arbeitnehmerwählern, bei GewerkschaftskollegInnen seit Jahren aufgestaut hat: bei allen, die wollen, dass endlich Schluss ist mit einer Politik, die einerseits Banken und Spekulationsfonds mit Milliarden-Flutungen bedient, und andererseits 8 Millionen Menschen zu Billiglöhnern gemacht hat und – angefangen bei der Jugend – ins Prekariat gestürzt hat, die hunderttausende Rentner zu Altersarmut verurteilt, die die soziale und öffentliche Infrastruktur der Länder und Kommunen dem Kaputtsparen ausliefert („Die Substanz ist aufgebraucht“)…

Ein erster Schritt, um diesen Kurs zu stoppen, ist der Kampf gegen die Bildung einer großen Koalitionsregierung unter Merkel, deren erklärte Aufgabe die Fortsetzung dieser Politik ist.

Die Konsequenzen einer Großen Koalition fürchtet auch der Finanzminister aus NRW, Walter-Borjans (SPD). Der CDU-Generalsekretär Gröhe betont in den Sondierungsgesprächen nochmals kategorisch: „Grundbedingung einer Koalition ist, die Schuldenbremse einzuhalten und keine Steuern zu erhöhen“. Bezogen darauf lehnt Walter-Borjans Zugeständnisse an die Union in der Steuerfrage ab und warnt vor der unausweichlichen Auslieferung an ein verschärftes Schuldenbremsendiktat durch ein Große Koalition.

Die Angst, die die SPD-Führung in NRW treibt, ist der unvermeidliche Zusammenprall mit den Arbeitnehmer- und Stammwählern in der traditionellen Hochburg der SPD an Rhein und Ruhr, denen für die verschärfte Umsetzung der
Schuldenbremse/Sparpolitik ein Blut-und Tränen-Programm präsentiert werden müsste. Auch in vielen anderen Bundesländern, in denen im kommenden Frühjahr Kommunalwahlen und im Herbst Landtagswahlen stattfinden, fürchten die SPD-Verantwortlichen, dass der Gang in die Große Koalition zu einem weiteren verheerenden Absturz der SPD führen wird.

Die massive Ablehnung eines Beitritts der SPD zur Großen Koalition zeigt sich auch in den vielen Wortmeldungen, die auf den Sonderseiten in dieser Ausgabe der „Sozialen Politik & Demokratie“ zusammengefasst sind: „Große Koalition ist
nicht Chance, sondern Totentanz!“ und „Der Weg in eine Große Koalition kommt einer Entleibung der SPD gleich“! „Mit Merkel in einer Großen Koalition ist kein Politikwechsel möglich!“ oder auch

„Die Rückkehr zu den Grundwerten sozialdemokratischer Politik ist mit der CDU nicht zu machen“!

Der Wille der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, die nicht länger die sozialzerstörerische und arbeitnehmerfeindliche Politik Merkels hinnehmen will, eine Politik, mit der in einer Großen Koalition nicht Schluss gemacht werden kann, findet auch seinen Ausdruck in den zunehmenden Streiks und Widerstandsbewegungen. Z.B. gegen die Deregulierung von Tarifverträgen, wie in den seit Monaten dauernden bundesweiten Kämpfen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften im Einzelhandel oder den ebenfalls schon monatelangen Streikbewegungen, mit denen bei Amazon und vielen anderen Betrieben um einen Tarifvertrag gekämpft wird. Oder in dem Widerstand der Arbeitnehmer und ihrer
Gewerkschaften gegen die drohenden Massenentlassungen bei Siemens oder ThyssenKrupp.

Wenn Gewerkschaftsverantwortliche, wie Michael Sommer vom DGB und die Vorsitzenden der IG Metall und der IG BCE, der SPD-Führung und Merkel für die Bildung einer Großen Koalition zu Hilfe eilen, sprechen sie nicht im Namen der
Millionen GewerkschaftskollegInnen, die gegen diese Politik kämpfen und von einer Großen Koalition keinen Wechsel dieser Politik erwarten.

Angesichts dieser geballten Ablehnung aus ihrer Mitgliederbasis, von der Mehrheit der Arbeitnehmerwähler… sehen sich die Gabriel und Nahles gezwungen, vorsichtig zu taktieren. Um eine Zustimmung des SPD-Konvents am 20.10. zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der Union möglichst sicher zu stellen, wollen sie alle SPD-Landes- und Bezirksvorsitzenden auf Kurs bringen, um den Konvent vorzubereiten. Dabei sollte man sich daran erinnern, dass auf dieser – geheim unter Ausschluss der Partei tagenden – Versammlung 200 SPD-Führungskräfte zur Entscheidung über das weitere Schicksal der SPD aufgerufen sind. Strikter Geheimhaltung unterliegt auch das Antragsbuch – diese Missachtung der innerparteilichen Meinungs- und Willensbildung ist sonst bei Bundes- und anderen Parteitagen vollkommen unüblich. Dennoch wurde bekannt, dass dreiviertel (!) der Anträge zur Regierungsfrage eine Große Koalition klar ablehnen. Etwa 50% der Anträge kamen von Ortsvereinen, 40% von Kreisverbänden und Unterbezirken. Das erklärt das große Interesse der Parteiführung daran, das Antragbuch als Verschlusssache zu behandeln.

Die vielen Träger der Bewegung für das Nein zur Großen Koalition, zu denen sich auch Gewerkschafter zählen, machen sich kaum Illusionen darüber, das Ruder gegen den Gang der Führung um Gabriel in die Große Koalition herumreißen zu können. Ihr Kampf ist aber schon zum Stützpunkt geworden für die Herausbildung einer politischen Kraft in der SPD und für die Entwicklung größerer Kämpfe der Arbeiterschaft gegen die verschärfte Fortsetzung der Euro-Rettungs- und Agenda-Politik durch Merkel, die sich dafür auf die SPD in ihrer großen Koalitionsregierung stützen muss und die DGB-Führung durch ihre Teilnahme an einem neuen Büdnis für Arbeit in die Begleitung dieser Politik ziehen will.

Berliner SozialdemokratInnen haben es sich zur Aufgabe gesetzt, der Vielzahl der GenossInnen, die sich in der SPD erheben, um den Gang der SPD in die Große Koalition zu verhindern, gegen das Verschweigen durch die Parteiführung eine politische Stimme zu geben. Sie haben zur „öffentlichen Versammlung“ vor dem Willy-Brandt-Haus, wo am 20. Oktober der Konvent tagt, aufgerufen und nach eigenen Angaben eine größeres Echo registriert. Wir rufen ArbeitnehmerInnen, GewerkschafterInnen und SozialdemokratInnen auf, diese Kundgebung zu unterstützen.

SozialdemokratInnen und GewerkschaftskollegInnen haben die Initiative für eine Unterschriftensammlung ergriffen: „Nein zur Großen Koalition! Mit Merkel kann es keinen Politikwechsel geben!“, die bundesweit Resonanz gefunden hat.

Alle sozialdemokratischen GenossInnen und GewerkschaftskollegInnen sind aufgerufen, ihr „Nein zur Großen Koalition“ unüberhörbar gegenüber allen Verantwortlichen der SPD, den Konvent- und Bundesparteitags-Delegierten zum Ausdruck zu bringen.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 308 vom 17. Oktober 2013

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