Das Programm ist vorgegeben

Während Merkel nichts unterlässt, um die Bevölkerung mit Wahlversprechen über die Rechnung zu täuschen, die sie nach den Wahlen für die dann fällig werdenden weiteren Milliardenströme zur Banken- und Euro-Rettung präsentieren wird, lässt Bundesfinanzminister Schäuble in „Annäherung an die düstere Wahrheit“ (Handelsblatt) die Katze aus dem Sack: „Es wird in Griechenland noch einmal ein Programm (d.h. ein weiteres Milliardenpaket) geben müssen“. Unabwendbar sind auch neue Milliardenhilfen für Portugal wie Spanien…

Steinbrück lobt Schäuble, der im Gegensatz zu Merkel, die es nicht wage, die Wahrheit zu sagen, die Bürger immerhin „nicht länger hinter die Fichte“ führe. Steinbrück selbst hat mehrfach erklärt, dass er fest mit einem weiteren Schuldenerlass für Griechenland rechne. Noch deutlicher ist der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider: „Nach der Wahl wird es ein böses Erwachen geben. Die Bundeskanzlerin belügt die Menschen vor der Wahl, wenn sie weitere Hilfen für Griechenland abstreitet. Diese Hilfen werden mit Verlusten für den Steuerzahler in Deutschland verbunden sein“. Und der SPD-Vorsitzende Gabriel hat schon signalisiert, dass die SPD im Bundestag wie schon den vorhergehenden auch diesem dritten Griechenlandpaket zustimmen werde. „Wenigstens Schäuble hat den Mut, die Wahrheit zu sagen“, so Gabriel. Die SPD-Führung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass auch für die die Euro- und Bankenrettung oberste Priorität hat und dass die deutsche Bevölkerung dafür zahlen muss. Doch das versucht sie hinter sozialen Versprechungen aller Art vergessen zu machen.

Steinbrück, die SPD-Führung wie auch Merkel, sie wissen alle, dass das Programm für die neue Regierung schon festgelegt ist: auch das deutsche Volk muss durch eine noch rigorosere Sparpolitik,  durch Lohndumping und Prekarisierung noch viel mehr Opfer bringen zur Finanzierung der unersättlichen Milliardenforderungen der Banken. Und sie wissen deshalb, dass ihre „sozialen Wahlversprechen“  dann nichts mehr gelten: also Wählertäuschung rund um.

Dennoch ist Steinbrück skrupellos genug, um in den letzten Tagen vor der Wahl mit seinem 100 Tage-Sofortprogramm „Politikwechsel für gerechte Löhne und Renten“ Merkel mit weiteren Versprechungen übertrumpfen zu wollen.

Wen will er, wen will die SPD-Führung täuschen? Die Arbeitnehmer und Jugendlichen, die tagtäglich mit der Begleitung und Tolerierung von Merkels fortgesetzter Agenda-Politik der Schuldenbremse und Prekarisierung durch die SPD-Führung konfrontiert waren? Die Arbeitnehmer und Jugendlichen, die tagtäglich in den Bundesländern mit Regierungen unter SPD-Führung oder -Beteiligung zusammenprallen, die genau diese-Politik exekutieren, um die Finanzmittel für die Banken- und Euro- Rettung herauszupressen?

Mit seiner Beschwörung eines „Politikwechsels“ kann Steinbrück die Millionen Arbeitnehmer und Jugendlichen nicht betrügen, die wollen, dass endlich Schluss gemacht wird mit der zerstörerischen Agenda-Politik.

In Wirklichkeit geht die SPD-Führung auch aus von einer neuen Wahlniederlage, von einer massiven Stimmenverweigerung der Wählerbasis der SPD. Sie fürchtet die Wut und Empörung ihrer eigenen Mitgliederbasis,  die trotz der bestimmten Demoralisierungspolitik der Führung versuchen wird, sich Ausdruck zu verschaffen. Denn sie macht Politik und den Wahlkampf der Parteiführung für den drohenden Absturz der SPD verantwortlich; sowie auch dafür, dass die Arbeitnehmer-Wähler nicht für den Sturz der Merkel-Regierung mobilisiert werden konnten und es zu einem Wahlergebnis kommen kann, das Merkel die Fortsetzung der Kanzlerschaft erlaubt.

Umso provozierender für die Mitglieder, wenn sie von einer im wesentlichen gleichbleibenden Führung mit dem selbstzerstörerischen Gang in eine Große Koalition konfrontiert werden sollen, in der Merkel und die SPD-Vertreter gemeinsam das von den Finanzmärkten und den EU-Verträgen vorgegebene Programm umsetzen müssen.

In dieser Situation beschließt der SPD-Vorstand auf Vorschlag der SPD-Linken und von Gabriel einstimmig die Einberufung eines Parteikonvents zwei Tage nach der Wahl. Die gesamte Parteiführung setzt darauf, über ein solches Manöver erst einmal Dampf abzulassen und Fakten zu schaffen, um einer wirklichen Entscheidung der Mitglieder zuvorzukommen, die diesen Kurs entschieden ablehnen und mit der dafür verantwortlichen Führung aufräumen wollen.

Für die Führung geht es darum, die Weichen für ihre Kontinuität und für die der Euro-Rettungspolitik zu stellen. Das aber heißt für sie nichts anderes, als die SPD unter der Vergewaltigung der politischen  Demokratie und des Willens der SPD-Mitglieder und -Wählerbasis in eine Regierung der Großen Koalition unter Merkel als wahrscheinlicher Wahlsiegerin zu führen. Mit direkter Regierungsbeteiligung will sie Merkel helfen, die Arbeitnehmer und Völker in Europa und Deutschland für die Milliardensummen zur Finanzierung der Rettung der Banken und Spekulanten bluten zu lassen.

So hat der Parteivorsitzende Gabriel – in Vorbereitung auf eine mögliche Große Koalition – gerade noch einmal klargestellt, dass die SPD niemals den Kurs der Agenda-Politik verlassen hat; dass diese beim Thema Leih- und Zeitarbeit zwar „korrigiert“ werden müsse, aber dass die Hartz-Reformen, die Zumutbarkeitsregeln und das Prinzip Fördern und Fordern am Arbeitsmarkt „fester Bestandteil sozialdemokratischer  Politik“ bleiben. (Gabriel im Handelsblatt, 22.8.2013). Dass sie an der schärferen Sparpolitik der Schuldenbremse, der Lohnkostensenkung unter dem Diktat der Wettbewerbsfähigkeit festhalten wollen.

Den Platz, den die Parteilinke dabei einnehmen soll, hat ihr Sprecher Ernst-Dieter Rossmann ohne jede Beschönigung klargestellt: „Wir würden (in einer möglichen Großen Koalition) als harte, kämpferische SPD auftreten, nicht als Müntefering-SPD.“

In dem Manöver, mit dem Parteikonvent die Mitgliederbasis von der Diskussion und Entscheidung über die Bilanz und die grundlegende politische Orientierung der SPD auszuschließen hofft, erkennt man zweifellos eine Neuauflage der Manöver, mit denen Müntefering schon nach dem Scheitern Schröders die weitere Unterwerfung der SPD unter die Agenda-Politik sichern wollte: mit dem Wechsel von Schröder zu Müntefering, dann zur Troika Müntefering, Steinmeier und Steinbrück bis hin zur Machtübernahme durch das Trio Gabriel, Steinmeier und Steinbrück.

SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen wenden sich in dieser Situation mit einer Erklärung an alle, „die diesen zerstörerischen politischen Kurs ablehnen: Wir lassen uns nicht das Recht nehmen, unsere Stimme in unserer Partei, in der SPD zu erheben.“

Sie laden alle Genossinnen und Genossen in der SPD, sowie alle, die die SPD aus Empörung über die Agenda-Politik verlassen haben und alle Kolleginnen und Kollegen, „die dafür kämpfen wollen, dass Schluss gemacht wird mit der zerstörerischen Agenda-Politik der de-facto bestehenden politischen großen Koalition und ihrer Fortsetzung in einer Großen Regierungskoalition nach der Wahl, und dass mit der dafür verantwortlichen SPD-Führung aufgeräumt wird“ ein zu den Arbeiterkonferenzen am 15. September in Berlin, Frankfurt und Düsseldorf.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 305 vom 2. September 2013

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