„Wählertäuschung“

Die Troika, die EU, die europäischen Regierungen und die Hochfinanz setzen ihre Hoffnungen darauf, dass Merkel nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 ihre Politik der Banken- und „Euro-Rettung“, der Spar- und Lohnsenkungsdiktate für Europa und Deutschland fortsetzen kann. Und sie machen keinen Hehl daraus, dass sie es für die günstigste Lösung ansehen, wenn die SPD in einer Großen Koalition Merkel dabei unterstützt, gegen den Widerstand der arbeitenden Bevölkerung diese Politik durchzusetzen. Eine SPD, die ihren Einfluss auf die Gewerkschaftsführungen nutzen soll, diese in eine „kritische“ Begleitung einzubinden.

Sie alle zeigen Verständnis dafür, dass Merkel ihren Wahlkampf mit „Versprechungen“ von Korrekturen an der Agenda-Politik führt; dass sie es vor den Wahlen nicht wagen kann, das Programm zu benennen, das den Krisenanforderungen der Finanzmärkte und der Rettung des Euro entspricht – diese „selbstmörderische“, »unappetitliche Wahrheit« (Financial Times).

Doch sie kommen nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass spätestens im Herbst, nach der Wahl, weitere Milliardensummen für die Bankenrettung aufgebracht werden müssen – und dass auch dem deutschen Volk unvermeidlich die bittere Rechnung dafür präsentiert werden muss.

Auch in Deutschland werden immer mehr Stimmen in diesem Tenor hörbar.

Unter dem Titel „Die Regierung vertuscht die Krise“ heißt es in der Wirtschaftswoche: „Und so beschönigen, beschwichtigen und vertuschen die Parteien im Wahlkampf, wo sie nur können. “ Doch „schon im Herbst wird sie (die Euro-Krise) mit aller Macht zurückkehren“.

Selbst im Bundesfinanzministerium geht man davon aus, dass ein zweiter Schuldenschnitt für Griechenland immer unabwendbarer wird, der, nach Schätzung der SPD-Führung, dem Bundeshaushalt mindestens 15 Mrd. Euro entziehen würde. Es ist gut möglich, dass für Portugal, dessen Schuldenstand 2014 einen Rekordwert erreichen wird, ein zweites Hilfsprogramm aufgelegt werden muss. Und dass Zypern der Bankrott droht, d.h. dass die Bank of Cyprus wegen ihrer dünnen Kapitaldecke frische Mittel brauchen würde…

Alle wissen das.

Und dennoch – in schamloser Wählertäuschung – überbieten sich Merkel wie Steinbrück gegenseitig mit Wahlversprechungen, in dem Wissen, dass diese vor den Diktaten der Schuldenbremse, der Wettbewerbsfähigkeit und der europäischen Verträge keinen Bestand haben werden.

Während Merkel ihre Wirtschafts- und Finanzklientel hinter vorgehaltener Hand beruhigt, dass alles unter Finanzierungsvorbehalt steht, behält sich Steinbrück gegenüber dem SPD-Wahlprogramm, das „soziale Korrekturen“ an der Agenda-Politik verspricht, seine „Beinfreiheit“ vor. So geißeln er und die SPD-Führung Merkel wegen ihrer »Wahlgeschenke«, tolerieren und unterstützen die Fortsetzung der Agenda-Politik von Merkel in Form einer politischen großen Koalition, und stehen dafür, dass die SPD in den Landesregierungen diese Politik im Namen der Schuldenbremse und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit brutal umsetzt.

Nach der Wahl, so Steinbrück, ist Geldbedarf für weitere taumelnde Länder „keinesfalls auszuschließen“. D.h. im Klartext, dass die SPD sich darauf vorbereiten soll, dass dem deutschen Volk die Blut und Tränen-Rechnung präsentiert werden muss – am besten durch eine Große Koalition, die Steinbrück wie die SPD-Führung – gegen den Willen großer Teile der SPD-Mitglieder – „nicht ausschließen“ will.

Steinbrück und die SPD-Führung berauben Millionen Arbeitnehmer jeder Perspektive für die Wahlen am 22. September. Wie schon nach der Großen Koalition 2009 wird sie diese in die Wahlverweigerung treiben, da sie keine Möglichkeit sehen, über die Wahlen mit Merkel und ihrer zerstörerischen Politik Schluss zu machen.

Da, wo es den Arbeitnehmern gelingt, im Kampf mit ihren Gewerkschaften punktuell die Schuldenbremse und die Zwänge der Wettbewerbsfähigkeit für Reallohnerhöhungen zu durchbrechen und sich schrittweise aus Billiglohnverhältnissen zu befreien und Tarifverträge zu erkämpfen, erreichen sie wirkliche Korrekturen an der Agenda-Politik.

Unter diesen Bedingungen sehen sich sozialdemokratische GenossInnen verpflichtet, zu erklären, dass sie „als SPD-Mitglieder für die SPD und ihre Kandidaten – gegen Steinbrück und die Große Koalition stimmen. Dabei haben wir keine Illusion über das unmittelbare Wahlergebnis und verstehen die Kollegen, die von Steinbrück (…) in die Stimmverweigerung getrieben werden. (…) Für uns alle ist der Kampf gegen die von Merkel und der SPD-Führung in »großer Koalition« vertretene Agenda-Politik sowie gegen eine kommende Große Koalitionsregierung ein Beitrag, um zu helfen, größeren Kämpfen der Arbeiterschaft den Weg zu bahnen, die dem Volk das Recht zurückgeben werden, selbst zu bestimmen – »Wir sind das Volk« – und sich von den Diktaten der Europäischen Union, von Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF zu befreien.“

Mit ihrer Erklärung wenden sie sich an alle Genossen und Kollegen, „die dafür kämpfen wollen, dass Schluss gemacht wird mit der zerstörerischen Agenda-Politik der de facto bestehenden politischen großen Koalition und ihrer Fortsetzung in einer Großen Regierungskoalition nach der Wahl am 22.9.“ Sie rufen sie auf, sich für diesen Kampf mit ihnen zu versammeln und die Arbeiterkonferenzen in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt am 15. September vorzubereiten.

Carla Boulboullé


Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 303 vom 1. August 2013

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