Sahra Wagenknecht, eine Stimme gegen die Politik des Krieges und der sozialen Zerstörung. Das macht sie zum Feind aller etablierten Parteien und Teilen der Linkspartei

Mehr als 2,5 Millionen Menschen haben sich die Rede von Sahra Wagenknecht vor dem Bundestag auf YouTube angesehen. Sahra Wagenknecht ist populär. Wenn man Kolleg*innen aus dem Ausland spricht, dann hört man Erstaunen und Bewunderung darüber, dass eine Parlamentarierin im Bundestag die Kriegspolitik der Regierung so hart und klar attackiert. Niemand kann Ähnliches aus seinem Parlament berichten. In ihrer Rede nennt sie, dass Deutschland, wenn es ein Industrieland bleiben will, die russischen Rohstoffe und leider auf absehbare Zeit auch noch russische Energie braucht.

Der Krieg in der Ukraine wird von der US-Regierung genutzt zur Verschärfung des Wirtschaftskrieges gegen die stärkste Industriemacht in Europa, Deutschland. Die fatalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die Forderung von US-Präsident Biden, Deutschland solle den Import von russischem Gas und Öl stoppen, haben zur Folge, dass Millionen Familien in Deutschland in die Armut gestürzt und die deutsche Industrie zerstört wird.

„Bevorzugtes Ziel von Produktionsverlagerungen sind neuerdings übrigens wieder die USA, weil der Gaspreis in Deutschland inzwischen achtmal so hoch ist wie in Übersee. Make America great again? Eine teure Strategie für eine deutsche Regierung!“ (Sahra Wagenknecht im Bundestag)

Auch wir haben die Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag in der Sozialen Politik & Demokratie Nr. 475 in Auszügen (S. 3) abgedruckt. Mit dieser Rede hat sie den Hass aller politischen Kräfte auf sich gezogen, die sich der Kriegspolitik der Scholz-Regierung unterwerfen. Diese setzen besonders darauf, dass die Kampagne zur Diffamierung von Sahra Wagenknecht als reaktionär/rechts langfristig Wirkung zeigt. Und tatsächlich, gibt es auch unter den „Linken“ kaum eine politische Kraft, die Sahra Wagenknecht nicht kritisiert, wobei sich die Kritik auf wenige Fragen konzentriert. Es lohnt sich, sie zu analysieren.

Es wird vor allem der Vorwurf erhoben, sie habe den Beifall von der AfD billigend in Kauf genommen. Diese abgedroschene Phrase soll den eigentlichen Skandal verschleiern, dass alle etablierten Parteien, einschließlich großer Teile der Führung der Linkspartei, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland trotz ihrer katastrophalen Folgen für die Bevölkerung und Wirtschaft in Deutschland unterstützen „Es droht massenhafte Verarmung & Deindustrialisierung“.

Der in London erscheinende Economist hat einen Artikel unter dem Titel veröffentlicht „Germany faces a looming threat of deindustrialisation“ (Deutschland steht vor einer drohenden Deindustrialisierung), indem er skizziert, dass in der Folge des von Berlin beschlossenen Stopp von Gas-Einfuhren aus Russland zahlreiche Betriebe vor dem „Aus“ stehen. Unter dem etwas reißerischen Titel „Putin verwirklicht Morgenthau-Plan und Deutschland droht Deindustrialisierung“ hat der Focus (19.9.2022) diesen Artikel veröffentlicht. Es ist allerdings nicht Putin, sondern der US-Imperialismus, der einen gnadenlosen Wirtschaftskrieg und damit die Deindustrialisierung Deutschlands vorantreibt. (Der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau hatte 1945 den Vorschlag unterbreitet, Nachkriegsdeutschland zu deindustrialisieren und in einen agrarwirtschaftlichen Staat zu verwandeln.)

Wegen der hohen Energiepreise und der Inflation geraten zahlreiche Betriebe, gerade in Ostdeutschland in die Schieflage, stehen vor dem „Aus“. Das trifft besonders das Handwerk und die kleineren und mittleren Unternehmen.

Genau diese Realität wird von den Kritikern geleugnet. Um nur ein Beispiel zu nennen. In dem ursprünglichen Aufruf des Berliner Bündnisses „Heizung, Brot und Frieden“ war zu lesen: „Die Deindustrialisierung bedroht die Existenzgrundlagen breitester Schichten der Bevölkerung“. Das wurde durch die Begriffe „Betriebsstillegungen und Massenentlassungen“ ersetzt. Es gehe um eine „Transformation“ nicht um eine „Deindustrialisierung“, so die Argumentation.

Entsprechend der von der Bundesregierung und den Gewerkschaftsapparaten verbreiteten Ideologie klammern sie sich an die Illusion einer zukunftsweisenden fortschrittlichen „Energietransformation“, während die „green economy“ weltweit ganze Industriebranchen, die für das Kapital nicht profitabel sind, in die Zerstörung reißt, verbunden mit massiven Entlassungen und dem Angriff auf alle sozialen Errungenschaften. (1)

Für die Menschen in Ostdeutschland gibt es eine sehr konkrete Erfahrung mit der Deindustrialisierung. Zwischen 80 und 90 % der Industriearbeitsplätze sind 1990/91 in Ostdeutschland verloren gegangen. Aus einem Industrieland wurde eine Wüste, die Menschen sind abgewandert usw. Aber besonders wichtig ist der zentrale „Nebeneffekt“. Mit den Arbeitsplätzen verschwanden soziale Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Ostdeutschland wurde eine tarifvertragsfreie und gewerkschaftsfreie Zone.

In diesem Zusammenhang wird Sahra Wagenknecht in einer Reihen von Kommentaren vorgeworfen, sie habe eine „deutschnationale Rede“ gehalten, weil sie die Folgen des Wirtschaftskrieges für die „deutsche Industrie“ in den Mittelpunkt rücken würde, und nicht die Interessen der internationalen Arbeiterklasse.

Na, sowas! Schon im kommunistischen Manifest heißt es: „Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muss natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden.“

Genau das hat Sahra Wagenknecht getan, ganz im Sinne von Karl Liebknecht, „der Feind steht im eigenen Land“.

Alle sozialstaatlichen Errungenschaften, Arbeitsgesetze, Sozialversicherungen, alles, was die deutsche Arbeiterbewegung erkämpft hat, ist in nationalstaatliche Gesetze gegossen. Diese zu verteidigen, ist die elementare Aufgabe der deutschen Arbeiterbewegung. Denn wer nicht in der Lage ist, das Erreichte zu verteidigen, wird auch nicht in der Lage, neues zu erkämpfen.

Über die Deindustrialisierung werden genau diese Errungenschaften angegriffen und zerrieben. (Dazu gehört zentral der Angriff auf das Flächentarifvertragssystem, Rückgrat des deutschen Sozialstaates, dem Scholz sich im Handschlag mit den Arbeitgebern besonders verschrieben hat und wofür er im Rahmen der neuen Konzertierten Aktion die Gewerkschaftsführungen einbinden will). Wer die Augen davor verschließt, dass die von der Ampel-Regierung forcierte militärische Kriegspolitik engstens begleitet wird von dem Krieg der sozialen Zerstörung, der katapultiert sich aus dem Kampf.

Nicht zuletzt ein Hinweis auf den Charakter des Krieges. Es ist ein imperialistischer Krieg. Wer ist Putin? Er ist der politische Vertreter einer durch und durch korrupten Oligarchie, die das Volkseigentum mit Mafia-Methoden angeeignet hat. Als ehemaliger KGB-Mann war er nie etwas anderes. Selenskyj vertritt die Interessen einer ukrainischen Oligarchie, die sich das Volkseigentum angeeignet hat, und den Krieg nutzt für weitreichende Angriffe auf alle gewerkschaftlichen und das Arbeitsrecht, um das Volk rücksichtsloserer Ausbeutung zu unterwerfen.

Die USA hat die Ukraine aufgerüstet, weil es ihnen um die Kontrolle von Öl, Gas und Rohstoffe geht… Über die Sanktionspolitik gegen Russland organisiert der US-Imperialismus den Wirtschaftskrieg gegen Europa. Und dagegen ist Sahra Wagenknecht zu Recht aufgestanden.

Hut ab vor dieser mutigen Rede!

Nur mit einem hat Sahra Wagenknecht unrecht. Sie sagt, wir haben die „dümmste Regierung in Europa“. Diese vielleicht im rhetorischen Überschwang geäußerte Bemerkung ist nicht ganz richtig. Denn die Regierung Scholz ist nicht dumm, sie weiß, was sie tut und in wessen Interesse sie handelt.

Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 477

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