Eine Angst geht um: Der heiße Herbst

Am 9. Juli zitiert das Handelsblatt Bundeskanzler Scholz mit seiner Warnung „vor sozialem Sprengstoff“ in der Gesellschaft. Und Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) sieht „Deutschland vor eine Zerreißprobe“ gestellt, „die wir lange so nicht hatten“ (in einem Interview im Deutschlandfunk am 10. Juli).

Panische Furcht erfasst die Regierung vor dem sogenannten „heißen Herbst“, vor einer heranreifenden sozialen Explosion.

Auf seiner Sommerpressekonferenz am 11.8. in Berlin versucht Scholz es mit Beruhigungsfloskeln: „Niemand wird allein gelassen“. Unruhen könne es gar nicht geben. Denn Deutschland sei ein Sozialstaat(!). Natürlich glaubt Scholz selbst nicht daran; der Scholz, der mit seiner Regierung gerade eine neue zerstörerische Offensive gegen die historischen Errungenschaften des Sozialstaates organisiert. Das kann nur als erstes Beispiel des Zynismus dieser Regierung verstanden werden.

Scholz verweist immer wieder auf die bisherigen „Entlastungspakete“ gegen die explodierenden Preise. Doch die „Entlastungen“ erweisen sich erneut als trügerische Korrekturen, wie schon gehabt unter der GroKo Merkel / Scholz. Sie werden allerdings zum Bumerang und vertiefen nur die Wut der Betroffenen, der gesellschaftlichen Mehrheit:

300 Euro Energiepreispauschale: Dass die Rentner leer ausgehen, rechtfertigt die Regierung damit, dass die Renten mit Erhöhungen auf 5,4% (West) und 6,1%  (Ost) ab 1. Juli 2022 so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr steigen würden. Damit liefern Scholz und Lindner ein weiteres Beispiel für den Zynismus dieser Regierung. Diese Erhöhung schützt die Rentner nicht vor weiterer Verarmung, da sie den Kaufkraftverlust durch die hohe Preissteigerung keineswegs ausgleicht.

Die Inflation, verbunden mit den bisherigen Rentenkürzungen, droht weitere Millionen in die Altersarmut zu stürzen.

Bekannt ist dagegen Scholz` »grundsätzliches Wohlwollen« für Lindners „Inflationsausgleichsgesetz“, von dem vor allem die oberen 20 Prozent Spitzenverdiener profitieren (s. auch Artikel auf S. 15/16).

Milliarden-Steuererleichterungen für die Reichen. Erst 2023 soll es monatlich 8 Euro mehr für das 1. und 2. Kind und 2 Euro für das 3. Kind geben. Das sind Lindners Vorschläge. Damit liefern der Finanzminister (FDP) und Scholz ein neues Beispiel ihres Regierungzynismus.

Über ein Viertel der Bevölkerung sorgt sich, mit dem Geld nicht mehr auszukommen. In dieser Situation wagt es Habeck, die Gasumlage zu verteidigen, die zusätzlich zu den explodierenden Energiepreisen eine vierköpfige Familie mit mehreren hundert Euro im Jahr belastet. Er rechtfertigt das als „gerecht möglichste Form, die (…) Kosten in der Bevölkerung zu verteilen (…) Sie folgt dem Solidarprinzip“. (SZ.) Zu den Energiefirmen, die gierig auf die Gasumlage zugreifen wollen, gehören Unternehmen, die als Krisenprofiteure Milliardengewinne verbuchen. Trading Hub Europe (THE), das den Fonds verwaltet, der mit der staatlichen Gasumlage gebildet wird, ist ein privatwirtschaftliches Gemeinschaftsunternehmen der Ferngasnetzbetreiber.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Zu den versprochenen „Wohltaten“ der Entlastungspakete zählt Scholz auch das Bürgergeld, das es ab 2023 geben soll – mit einer möglichen(!) Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um 40 – 50 Euro. Dieses Gesetz schützt große Teile der Bevölkerung – besonders angesichts der rasanten Verteuerung – nicht vor noch schlimmerer Verarmung. Auch das kann nur als Verhöhnung empfunden werden.  (In der nächsten Ausgabe werden wir eine Analyse zu dem Gesetz veröffentlichen).

Habeck treibt den Regierungszynismus auf die Spitze. Er konstatiert: Arbeiter*innen werden entlassen, Leute verschulden sich und Menschen werden ärmer: „Alles auffangen“ lasse sich durch Entlastungspakete nicht, räumt er ein. Und weiter: „Menschen sollen sich nicht fragen, was sie kriegen, sondern sie sollen es tun (nämlich Energie sparen), weil sie Bock haben, in diesem Land zu leben, weil sie Stolz und Freude dabei empfinden, für andere etwas zu tun.“ ( Focus, 24. Juni)

Menschen? Damit meint er nicht sich, und auch nicht die Konzerne und ihre Finanzinvestoren, die neben ihren Milliarden Profiten zusätzlich Milliarden an staatlichen Subventionen kassieren. Opfer bringen sollen hingegen die arbeitende Bevölkerung und Jugend, die „übrige“ Mehrheit der Gesellschaft.

Sie provozieren Wut und Widerstand.

Ein Volkswiderstand gegen die Regierung und ihre Politik, den es nicht geben darf!

In Neuruppin empfingen Demonstranten Bundeskanzler Scholz mit lauten Buhrufen und „Hau ab“, Hau ab!“.

In Bayreuth wurde Habeck mit lauten Pfiffen und den gleichen Rufen „Hau ab“ beim Reden behindert.

Vor der FDP-Bundesgeschäftsstelle in Berlin demonstrierten Hunderte unter dem Motto „Lindner raus“.

Demonstrationen gegen die „Armut“ mehren sich bundesweit in vielen Städten. Sie alle richten sich gegen die Politik der Regierung, aber sie bleiben dezentral organisiert. Genaue Zahlen gibt es nicht. Das sind Vorboten des heißen Herbstes.

„Politiker der Ampel-Regierung befürchten, dass steigende Gas- und Lebensmittelpreise zu sozialen Unruhen im Herbst führen könnten.“ (Tagesschau, 2.8.) Sie treibt die Angst vor einer Ausweitung des Widerstandes, von Streiks und Demonstrationen.

In dieser Situation greifen sie auf die Methode „Merkel“ zurück, die allerdings auch schon zum Scheitern verurteilt war: Demonstrationen gegen die Politik der Regierung werden als von Rechtsradikalen gesteuert diskreditiert und werden beantwortet mit dem Aufruf zur Gemeinsamkeit von Volk und Regierung, der Beschwörung der „gemeinsamen Kraftanstrengung“; „wir müssen uns unterhaken“ (Scholz).

Doch die wachsende soziale Sprengkraft und die Gefahr einer sozialen Explosion erfordern die Vorbereitung und den Einsatz radikaler Polizei- und staatlicher Gegengewalt. So sieht sich angesichts der zu erwartenden Unruhen der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz veranlasst, vor einer Bedrohung der inneren Sicherheit in Deutschland zu warnen. Auch Bundesinnenministerin Faeser (SPD) warnt vor radikalen Protesten wegen hoher Energiepreise, darauf „sind wir vorbereitet“.

Für die Regierung enden das Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit, sowie auf das Streikrecht, wenn es um die Mobilisierung gegen ihre soziale Zerstörungspolitik geht. Dafür instrumentalisieren sie die „rechte Gefahr“ und untergraben selbst die Demokratie.

Und sie finden Fürsprecher bei der Führung der Linkspartei. Gegen zunehmende Stimmen aus dieser Partei, die zu Protesten aufrufen wollen, warnt Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, vor rechtem Einfluss auf die Protestbewegung. Andere Kräfte der Linkspartei dagegen organisieren oder beteiligen sich an Protestdemos. Der Bundestagsabgeordnete Pellmann aus Leipzig hat zu Montagsdemonstrationen aufgerufen. Mitglieder der Populären Linken um Sahra Wagenknecht bereiten Protestdemos vor, z.B. in Berlin.

Doch bisher bleiben es Aufrufe zu zersplitterten Demos, zu regional und zeitlich unterschiedlichen Terminen. Und sie bleiben getrennt von den Kämpfen und Streikbewegungen der Arbeiter, wie der Metaller und Kolleg*innen im Öffentlichen Dienst, für einen wirklichen Inflationsausgleich, für die Verteidigung des Reallohns (s. Artikel S. 4f).

Von dem Widerstand der Arbeiter, die den Versuch von Scholz, über die neue „Konzertierte Aktion“ mit der Abspeisung durch Einmalzahlungen das Tarifvertragssystem zu zersetzen, zurückgeschmettert haben. Die, wie jetzt die Hafenarbeiter, mit kämpferischen Streiks einen Tarifabschluss mit einer Inflationsklausel erkämpft haben, die eine Preissteigerungsrate bis 5,5 Prozent ausgleicht. Und für den Fall einer höheren Inflationsrate ein Sonderkündigungsrecht garantiert.

Wie können sich diese Kampfkraft und der Widerstandswille vereinen, in einem gemeinsamen Volkswiderstand gegen die Politik der Regierung Scholz?

Die Redaktion der „Sozialen Politik & Demokratie“ und die um die Zeitung politisch Engagierten rufen auf, darüber zu diskutieren, wie wir (auch auf den Demonstrationen) eingreifen können, um beizutragen für eine politische Vereinigung der Aktionen um die wichtigsten Forderungen, die in allen bisherigen Demos und Kämpfen erhoben wurden:

  • Nein zu den 100 Milliarden für die Kriegsführung – Milliarden für mehr Personal in Bildung und Krankenhäusern!
  • Für die Verteidigung des Reallohns!
  • Für einen allgemeinen Preisstopp!
  • Preissenkung für Lebensmittel und Energie!
  • Moratorium gegen Mietsteigerungen!

Zusammengefasst: Es muss endlich Schluss gemacht werden mit der sozialzerstörerischen und antidemokratischen Politik der Regierung Scholz!

Diese Diskussion schlagen wir auch für die geplante Konferenz der Populären Linken im Herbst vor.

Carla Boulboullé

 

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