SPD Sozialstaatsreform 2025 – Rettung oder Baustein ihres Niedergangs?

Gut 15 Jahre nach den bislang letzten grundlegenden Reformen (der Agenda-Reform von Schröder) präsentieren die SPD- Vorsitzende Nahles und SPD-Finanzminister der GroKo, Olaf Scholz, mit der „Sozialstaatsreform 2025“ „abermals eine Modernisierung des Sozialstaates“, so Scholz in der „SZ“.

Sie umfasst schon verabschiedete Gesetze und von der SPD geplante Gesetzesinitiativen, als auch allgemeine Versprechungen, für die sich die SPD , entsprechend dem Willen ihrer jetzigen Führung, nach der laufenden Regierungszeit einsetzen sollte.

Konnten Beschäftigte wie das Pflegepersonal mit den bisherigen Gesetzen schon ihre Erfahrungen machen, so wird sich das ganze „Sozialreformprojekt“ in der Realität früher oder später als weiteres Betrugsmanöver erweisen. Das kann in der arbeitenden Bevölkerung eine umso schärfere Ablehnung provozieren.

2003 hatte Schröder in seiner Regierungserklärung seine Agenda-Politik damit begründet, dass „der Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung unabweisbar geworden sind“.

In seiner Regierungserklärung definierte er die zwei Grundgesetze seiner Agenda-Politik:

- Die „Wettbewerbsfähigkeit“, die mehr Flexibilität im Arbeitsrecht und bei den Tarifverträgen verlange, d.h. die radikalere Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, die ein Millionenheer von Arbeitern, Frauen und Jugendlichen zur Überausbeutung in prekäre Niedriglohnverhältnisse zwang. Und die im Zusammenwirken mit Hart IV im führenden Industrieland Deutschland den größten Niedriglohnsenktor Westeuropas entstehen ließ.

- Die „Haushaltskonsolidierung“, d.h. massive Streichungen im öffentlichen Haushalt, was die Mehrheit der Kommunen in den Ruin trieb und eine unverantwortliche Personalnot an den Krankenhäusern, in der Pflege, den Schulen, der Verwaltung … produzierte.

Die Rentenreform Schröders von 2001 räumte mit einer weiteren historischen Errungenschaft der Arbeiterbewegung auf: dem solidarischen, gesetzlichen Rentensystem.

Das war der Auftakt zur Demontage und Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme und ihrer Abkoppelung vom Lohn, Kernbestand des Sozialstaates. Bezahlt durch drastische Einschnitte bei den sozialen Leistungen, wurden die Unternehmer mit der Senkung der Lohnnebenkosten entlastet.

Die von Schröder verordnete rigide Sparpolitik, verbunden mit milliardenschweren Steuerentlastungen für das Kapital, riss Milliardenlöcher in die kommunalen Haushalte. Krankenhäuser, Bildung, die Infrastruktur… wurden kaputtgespart, die Privatisierung der großen staatlichen Monopole wie Bahn und Post wurde gefördert.

Mit den Agenda-„Reformen“ entsprach Schröder dem Druck des Finanzkapitals, von Großkonzernen und Banken, die immer offensiver zum „Umbau“, d.h. der Zersetzung des gesamten Sozialsystems drängten. Diese Politik wurde von der SPD-Führung in allen folgenden Regierungen der Großen Koalition fortgesetzt. Das aber prallt zusammen mit dem Willen der gesellschaftlichen Mehrheit, dass endlich Schluss gemacht wird mit der Agenda-Politik.

Konfrontiert mit der Zerrüttung des Sozialstaates und um der tiefen Ablehnung zu begegnen, die vor allem die SPD bis hin zu einer Existenzkrise erschüttert, verkünden Nahles und Scholz nun die „große Sozialstaatsreform 2025“

Sie machen sich stark für betrügerische Korrekturen an der verhassten Agenda, die sie – unter Rückgriff auf die von Schröder geprägten beschönigenden Begriffe – mit ideologischen Mäntelchen umhüllen wie: „Umbau / Modernisierung des Sozialstaats“, „Sozialstaat neu denken“…

Zur gleichen Zeit – und zur Beruhigung der Arbeitgeber und der Union – lassen sie keinen Zweifel daran aufkommen, dass an den zwei Grundgesetzen der Agenda-Politik nicht gerüttelt wird: an der Wettbewerbsfähigkeit des Profits und der die rigide Sparpolitik Schröders noch verschärfenden Schuldenbremse, unter deren Peitsche die Sozialzerstörung vorangetrieben wird.

Beispiel Rente als Element des „neuen Sozialstaates“: Die endlosen Rentenkürzungen haben zur dramatischen Ausweitung der Altersarmut geführt, die vor allem jene erfasst, die jahrzehntelang zu Armutslöhnen in Niedriglohnbereichen geschuftet haben. Ihnen präsentiert Arbeitsminister Heil (SPD) jetzt die „Grundrente“. Doch er kann nicht verschleiern, dass damit die Aushöhlung des paritätisch finanzierten gesetzlichen Rentensystems verfestigt wird. Sie hebt die vielen Rentenkürzungen nicht auf und schützt nicht vor der Ausuferung der Altersarmut.

Die von Nahles/Scholz propagierte „Sozialstaatsreform“ geht davon aus, dass die sich verändernden Bedingungen in der Arbeitswelt unausweichlich eine Ausweitung der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse verlangen – auch damit folgen sie Schröder.

Maßnahmen zur Einschränkung oder gar dem Verbot der sich ausweitenden Tarifflucht jeglicher Art, von Werkverträgen, Leiharbeit oder befristeten Arbeitsverhältnissen, finden sich in den Vorschlägen und Gesetzesmaßnahmen der SPD nicht. Im Gegenteil, die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse unter dem Druck der Schuldenbremse, Tarifflucht, Ausgliederungen und Ausweitung der Niedriglohntarife wird weiter gefördert. Beispiel: Das Teilhabechancengesetz, das Heil als anderen Baustein des Umbaus preist, zwingt Langzeitarbeitslose, sich zu Niedriglöhnen zu verdingen.

Die Umetikettierung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) in „Bürgergeld“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass unbedingt am System der Hartz-IV-Arbeitsreform festgehalten wird, die nichts anderes ist als eine Maschinerie zur Entrechtung der qualifizierten und tariflich geschützten Arbeitskräfte, um die Arbeitslosen in prekäre und rechtlose Billigjobs zu zwingen. (s. auch S. 4)

Das angebliche Pflegepersonal-Stärkungsgesetz gegen den Personalnotstand haben Familienministerin Giffey und Heil (beide SPD) gemeinsam mit Gesundheitsminister Spahn (CDU) zu verantworten. Als „eine Ohrfeige für das Pflegepersonal« verurteilte ver.di die Einführung von Untergrenzen, mit denen es „weder gute Versorgung für die Patientinnen und Patienten noch nachhaltige Entlastung für die Beschäftigten gibt«, Einsparungen beim Pflegepersonal werden mit einer Prämie belohnt. Dieses Gesetz eröffnet eine neue Offensive der Bettenstreichungen, Privatisierungen und Schließungen von Krankenhäusern.

Seit Monaten kämpfen die Gelbwesten in Frankreich, die sich zunehmend mit Gewerkschaftskämpfern in gemeinsamen Demonstrationen und Aktionen verbinden, mit großer Wut und Entschlossenheit gegen die zerstörerischen „Reformen“ von Macron und für dessen Rücktritt.

Diese tiefgehende Ablehnung und Wut findet ihren Ausdruck in Deutschland in der gezielten Kampfentschlossenheit z.B. der Kollegen der Flughafensicherheit, die in ihrem Kampf und wirkungsstarken Streik für „20 Euro die Stunde bundesweit für alle“ jetzt das bisher erzielte Tarifergebnis zu 55% in einer Mitgliederbefragung abgelehnt haben, „um deutlich bessere Ergebnisse zu erzielen- Wir sind es wert!“. Und auch in der Erhebung der Beschäftigten, die nach ihren Gewerkschaften greifen, um sich aus entwürdigenden prekären Arbeitsverhältnissen zu befreien oder ihren Flächentarifvertrag gegen den Absturz in solche Verhältnisse verteidigen.

Sie kämpfen gegen die Tarifflucht jeder Art für ihre (Re-) Integration in von Gewerkschaften garantierte Flächentarifverträge; für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal in den Krankenhäusern, Schulen, im Nahverkehr

Und diese Erhebung ist erst der Anfang.

Carla Boulboullé

 

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