Ein „fragiles Notbündnis“

Die neue Regierung der Großen Koalition könne nur ein „fragiles Notbündnis“ werden, warnte die SZ im Januar.

Nach dem Wahldesaster für alle Parteien der alten Großen Koalition, dem Scheitern von Jamaika und getrieben von der Ablehnung der GroKo durch eine Mehrheit in der SPD – über die auch die formelle zähneknirschende Zustimmung im Mitgliedervotum niemanden hinwegtäuschen kann – unterzeichneten am 12. März die Parteien von Union und SPD nach langen quälenden Verhandlungen den Regierungsvertrag der dritten Großen Koalition, unter erleichtertem Aufatmen aber ohne jede Euphorie. „Begeisterung für das, was heute besiegelt wurde, war keinem der Beteiligten anzumerken“, so ein Kommentar in der ARD-Tagesschau.

Am 14. März 2018 wurde Angela Merkel im Bundestag zur Kanzlerin gewählt. Über 30 Abgeordnete, die aus allen Koalitionsfraktionen kamen, haben Merkel ihre Stimme verweigert, d.h. sie bekam lediglich 9 Stimmen mehr als für die Kanzlermehrheit notwendig waren.

Nach Bekanntgabe dieses Abstimmungsergebnisses „folgt ein Moment nahezu schockstarrer Stille, der die Stimmung prägt“, so der Kommentar der FAZ. Die Gegenstimmen kamen sowohl von der SPD-Fraktion, wie aus der Union und unterstreichen – wenn auch in deformierter Form – wie unstabil die Basis dieser Regierung ist. „Die Nein-Stimmen zeigen, wie wackelig, (…) wie hoch das Frustpotenzial in der Großen Koalition ist“, schreibt die Frankfurter Rundschau, angesichts dieser dramatisch geschwächten Merkel und ihrer Regierung.

Als Fiktion entlarvt sich die Hoffnung, die die Vertreter des internationalen und deutschen Kapitals, der internationalen Institutionen wie IWF und EU, sowie alle Regierenden in Europa, auf Merkel als Garantin der „Verlässlichkeit“ gesetzt haben. „Der Deutsche Tanker leckt im Inland überall“, konstatiert das Handelsblatt.

Selbst in Präsident Steinmeiers von den Medien gebetsmühlenartig wiederholten Beschwörung, dass „die Zeit der Ungewissheit und Verunsicherung“ zu Ende sei, kommt zum Ausdruck, mit welcher Verzweiflung sich alle daran klammern, mit Merkel könne ein Minimum an Kontinuität und Stabilität gerettet werden.

Kein „schlichter Neuaufguss des Alten“ …

Die Aufgaben, vor der die Große Koalitions-Regierung Merkel steht, sind gewaltig – die neue Große Koalition kann nicht „ein schlichter Neuaufguss des Alten“ sein, mahnt Steinmeier.

Um sich vor der massiven Ablehnung aus der Bevölkerung und vor einem mehrheitlichen Nein der SPD-Mitglieder zur GroKo zu schützen, hatten Unions- und SPD-Führung mit dem Koalitionsvertrag trügerische Korrekturen präsentiert: bei der Pflege und Rente, Einschränkungen bei der Befristung… Sie konnten es nicht wagen, offen und direkt die drohenden Schläge der sozialen und politischen Krise in Deutschland, der EU und weltweit zu benennen.

Während Seehofer als neu gekürter Innenminister noch Phrasen drischt, wie: der Koalitionsvertrag übernehme soziale Verantwortung, er sei „ein Vertrag für die kleinen Leute“, um die Selbstverpflichtung der Koalition auf eine härtere „neue Agenda-Politik“ zu verschleiern, tritt der SPD-Finanzminister forscher auf die Bühne: „Wir haben uns alle gemeinsam die `Schwarze Null´ vorgenommen. Das fanden alle von selbst richtig“.

Ihre Verpflichtung auf eine härtere „neue Agenda“…

Vizekanzler und SPD-Wirtschaftsminister Scholz spricht Klartext „Umso wichtiger ist es jetzt, klar und wahr zu reden“. Deutschland muss mehr zahlen. Es muss „infolge des Brexit mehr Geld in den EU-Haushalt einzahlen.“ Zu den neuen finanziellen Anforderungen gehören auch die höheren Kosten für die Rettung der Banken und des Euro, für einen möglichen Schuldenschnitt für Griechenland, für die gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen und „Sicherheitspolitik“, sprich den Aufbau einer EU-Kriegsarmee. (zit. nach SZ vom 18.3.2018) „Globale Multikonzerne bedrohen die finanziellen Grundlagen des sorgenden Sozialstaates“ warnt darüber hinaus das Handelsblatt

Auch die Arbeitgeberverbände in Deutschland drängen die Große Koalition immer unverhohlener auf drastischere Maßnahmen einer „neuen Agenda-Politik“: Im Namen der Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen des Strukturwandels fordern sie eine Milliarden starke Subventionierungen für die Digitalisierung und Forschung, auch zur Finanzierung von Arbeitsplatzabbau, Entlastung bei den Steuern und Sozialabgaben.

Der neu ernannte Minister Spahn (CDU) verteidigt in vollkommener Kontinuität zu Nahles, Hartz IV bedeute nicht Armut. Sein zynischer Versuch, den Ruin des Sozialstaates wegleugnen, hat allerdings Schleusen geöffnet und dazu beigetragen, dass das ganze Ausmaß der Ausweitung der Armut ans Licht drängt und schon Ablehnung gegen die neue Große Koalition hochkommt (s. auch Artikel auf S. 9). Als neuer Gesundheitsminister lässt Spahn keinen Zweifel daran aufkommen, welche Aufgaben die Große Koalition im Rahmen einer verschärften „neuen Agenda-Politik“ zu bewältigen hat. Auf dem 17. Nationalen DRG-Forum in Deutschland beklagte er, dass es zu viele Krankenhäuser gebe. Er bekennt sich nachdrücklich zum DRG-System, dem zentralen Hebel für die Kaputtsparpolitik gegen die Krankenhäuser unter dem Diktat von Schuldenbremse, schwarze Null.: „Fallpauschalen sind der richtige Ansatz, an dem wir auch festhalten wollen“ und stellt gleich auch die Versprechungen des Koalitionsvertrags in Frage, die Pflege gesondert zu finanzieren.

wird eine noch tiefere Ablehnung provozieren

Mit jeder Maßnahme der fortgesetzten Spar- und Deregulierungspolitik, die noch im Koalitionsvertrag verschwiegen wurde, oder mit der sichtbar wird, dass für die „Versprechungen“ von vorneherein keinerlei Finanzierung vorgesehen war, wird eine noch tiefere Ablehnung dieser Großen Koalitionsregierung provoziert.

Die Arbeitnehmer*innen werden für ihre Widerstandskämpfe gegen diese Angriffe zu ihren Gewerkschaften greifen. Dabei stoßen sie aber auf eine Gewerkschaftsführung, die der Großen Koalition ihre „volle Unterstützung und kritische Begleitung“ zugesagt hat.

So hat die IG Metall-Führung im letzten Tarifkampf – entgegen der Kampfbereitschaft der Kolleg*innen – eine weitere Aushöhlung der Tarifverträge in Bezug auf die Arbeitszeit zugelassen. Die ver.di-Führung verzichtet im jetzigen Tarifkampf der 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen darauf, neben den Lohnforderungen die die Kampfkraft der Kolleg*innen belastenden Fragen der Ausgliederungen und des Stellenabbaus aufzunehmen.

Gewerkschaftskolleg*innen, politisch Engagierte, darunter auch SPD-Mitglieder, die sich mit dem Kampf der SPD-Mitglieder für das Nein zur Großen Koalition solidarisiert haben, laden zur Diskussion in politischen Arbeitskreisen ein:

  • wie können wir den Widerstand mit unseren Gewerkschaften und in der SPD gegen die neue Agenda-Offensive stärken?
  • wie können wir den Kolleg*innen helfen, die Hindernisse zu überwinden, mit denen sie in ihrem Kampf gegen die Gebote der Schuldenbremse, der Tarifflucht und von Lohn- und Sozialdumping konfrontiert sind?

Carla Boulboullé

 

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