Nach den amerikanischen Wahlen — Weltweite Verunsicherung

„Niemals zuvor war die Wut so groß“, stellt die Brookings Institution in Washington erschreckt fest.

Es gab nur die Wahl zwischen zwei kapitalistischen Kandidaten. Fast die Hälfte der amerikanischen Wähler verweigerte ihre Stimme (es war die zweithöchste Wahlenthaltung in der US-Geschichte).  Aber Hillary Clinton war geradezu das Symbol des „Establishments“, des Systems der zwei großen Parteien des Kapitals, der Demokraten und Republikaner, die beide je auf ihre Weise die Politik umsetzen, die ihnen Wall Street und die Multinationalen Konzerne diktieren. Dass sie die Wut und Ablehnung auf sich zieht war schon bei den Vorwahlen zum Ausdruck gekommen, als der Kandidat Sanders, der in der Demokratischen Partei gegen Clinton antrat, und der in einer linken Phraseologie die wirtschaftlichen und sozialen Probleme aufnahm, 16 Millionen der Stimmen für sich verbuchen konnte.

Nachdem Trump mit den Kandidaten des „Establishments“ seiner Partei, den Republikanern, aufgeräumt hatte, konzentrierte er alle Schläge auf Clinton, die für die amerikanischen Arbeitermassen und Jugend, ob weiß, schwarz oder Latinos, die Politik der brutalen sozialen Zerstörung und Spaltung und der demokratischen Unterdrückung personifizierte.

So konnte Trump von der Wut, von dem „Aufstand der verzweifelten Wähler“ des „Rostgürtels“ der fünf Staaten des nördlichen mittleren Westens der USA profitieren, in denen sich die Bevölkerung nach dem industriellen Kahlschlag und der Verwüstung der staatlichen Infrastruktur der sozialen Not ausgeliefert sieht.

Die Kampagne und die Wahl Trumps haben die politischen Herrschaftsinstitutionen in den USA destabilisiert. Die Regierung ist nicht die „starke Regierung“, die der US-Imperialismus für eine neue Offensive gegen die Arbeitnehmererrungenschaften und die Demokratie braucht. Seine Wahl hat vielmehr die Bedingungen für die politische Schwächung seiner Regierungsmacht geschaffen.

Die massive Ablehnung der Politik der sozialen Zerstörung durch die Arbeitnehmer und Jugend auf Wahlebene wird ihren Weg suchen zu ihren Gewerkschaften, für die Organisierung verstärkter Widerstandskämpfe gegen eine arbeiterfeindliche Politik der neuen Regierung -zur Verteidigung ihrer Rechte und Errungenschaften, z.B. in der existenziellen Frage der Krankenversicherung.

Politische Verunsicherung und Destabilisierung prägen die Schockwelle, die das Wahlergebnis in der ganzen Welt ausgelöst hat. Sie trifft auf schon entwickelte Krisenverhältnisse. In Europa hat die Politik der Rettung des Euro und des Finanzsystems mit ihren drakonischen Austeritätsmaßnahmen und Arbeitsmarktreformen, aber auch die Kriegspolitik und ihr Export des Terrors und die Vertreibung von Millionen von Flüchtlingen zu einem Zerreiß- und Auflösungsprozess der EU geführt.

Die politische Krise erfasst alle Regierungen der EU, alle parlamentarischen, demokratischen und andere Regimes, weil sie mit der Umsetzung der Politik im Interesse des Finanzkapitals auf die Widerstandskämpfe der Arbeitnehmer stoßen und die Wut der Völker provozieren.

Diese Krise wird durch die allgemeine Verunsicherung und Destabilisierung enorm aufgeheizt, in den USA, in Europa, in der Welt. Trump hat sein „America first“ ins Zentrum seiner Wahlkampagne gestellt. Damit droht eine verstärkte Abwälzung der Kosten – auch der politischen Charakters – der kapitalistischen Krise, vor allem auf die führenden imperialistischen Länder Europas, und nicht zuletzt auf die eigene Arbeiterklasse.

Obama, schon seit geraumer Zeit Vorbereiter dieser Politik, macht sich noch bei seinem letzten Besuch als scheidender Präsident in Europa zum Vorantreiber dafür. Ob die Sanktionen gegen Russland, die enorme Aufblähung der Kriegs-Rüstungsausgaben, der Schuldenschnitt für Griechenland, die horrenden Kosten der Rettung des Euro und der Banken oder die „Steuerung“ der Flüchtlingsströme in Richtung Europa: die Hauptlast davon trifft Deutschland, den stärksten Imperialismus in Europa. Es war schon die Verantwortung der Großen Koalition unter Merkel, und wird noch mehr die der kommenden Regierung sein, dem deutschen Volk die Rechnung dafür zu präsentieren.

Diese Rechnung nahm mit der Konstituierung der Großen Koalition die Form an der verschärften Fortsetzung der Agenda-Politik, der Zerstörung historischer Errungenschaften des Sozialstaates, wodurch Millionen Arbeitnehmer und Jugendliche in entrechtete Billigjobs und Perspektivlosigkeit gestürzt und ganze Schichten der arbeitenden Bevölkerung, Kommunen und Regionen dem sozialen Niedergang ausgeliefert und davon bedroht wurden.

Das ist die wirkliche Quelle, aus der sich die Revolte der Wählerschaft gegen die Politik der Parteien der Großen Koalition und aller „etablierten“ Parteien speist, die deren Agenda-Diktate der Schuldenbremse und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des Profits mittragen und umsetzen. Das erklärt nachdrücklich auch die Ablehnung und Wahlverweigerung von Arbeitnehmern und Jugendlichen gegenüber der SPD, deren Führung, mit der politischen Interessenvertretung als Arbeiterpartei radikal gebrochen hat.

Diese Ablehnung der gesellschaftlichen Wählerbasis ist auch der Grund für das lange Zögern von Merkel und Gabriel, sich für die Kanzlerkandidatur zu entscheiden. Und das ist auch der Grund für die in der BRD erstmalige Situation, dass größte Unsicherheit herrscht über die politische Fähigkeit der beiden angeschlagenen Parteien zur Bildung einer regierungsfähigen Regierung, egal in welcher Form.

Die Wucht der Ablehnung und Verweigerung der Wählerschaft des arbeitenden Volkes, die sich in den amerikanischen Wahlen Ausdruck verschafft hat, hat die politischen Verantwortlichen zehn Monate vor der Bundestagswahl in Panik versetzt. Merkel und Gabriel klammern sich an einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten Steinmeier, den sie zu einer – nur zu offensichtlich hohlen – Symbolfigur für die Kontinuität und Stabilität der Politik der Großen Koalition nach den Wahlen stilisieren, die schlicht jeder gesellschaftlichen Realität entbehrt.

 Kandidatur Merkel für das „Weiter so“…….

Man kann es auch als Zynismus verstehen, aber es ist auch Panik angesichts der großen Verunsicherung, die Obama zum Wahlkämpfer von Angela Merkel werden lässt: Sie muss kandidieren, muss weiterhin als Kanzlerin herhalten, um nicht nur rettender Stabilitätsanker für die zerfallende EU/Europa, sondern gleich auch als „letzte Verteidigerin des liberalen Westens“ (New York Times) und als „Anführerin der freien Welt und ihrer Werte“ (Die Zeit) zur Verfügung zu stehen.

Kommentar der „Zeit“: „Druck nach Führung erreicht Merkel zu einer Zeit, in der die Möglichkeiten dafür nicht eben zunehmen: ohne ein Europa, das mitzieht, ohne eine Partei, die geschlossen hinter ihr steht, ohne den Rückhalt in der Bevölkerung… Deutschland muss jetzt mehr führen… aber wer führt in Deutschland?“

Merkel sieht sich zur Kandidatur gezwungen, zur Kandidatur des „Weiter so“. Dessen Inhalt: die verschärfte Fortsetzung der Agenda-Politik, aber unter extrem erschwerten Bedingungen, in Deutschland und auf Weltebene.

Das „Weiter so“ steht für die neue Regierung als Auftrag des Kapitals fest. Umso größere Unsicherheit herrscht für alle Kandidaturen in diesem Sinne, mögen sie auch noch so viel Versprechungen von Korrekturen und Wechsel auf den Lippen führen. Sie riskieren die Entfachung der „Wählerrevolte“ gerade gegen das „Weiter so“.

… provoziert Wählerrevolte

Entfacht ist und bleibt auf jeden Fall der Aufschwung des gewerkschaftlich organisierten Klassenkampfes gegen diese Politik.

Ein Signal setzt die Gewerkschaft ver.di, die die Beschäftigten der Krankenhäuser bundesweit zum Kampf, zu Tarifverhandlungen für mehr Personal, zur „Entlastung“ der KollegInnen ruft und sich dabei auf die Streikbereitschaft der KollegInnen stützt.

Zu diesem Kampf sehen sich die Kollegen und ihre Gewerkschaft gezwungen, weil die Regierung der Großen Koalition unter dem Diktat der Schuldenbremse entgegen geltendem Recht seit Jahren die notwendigen Investitionsmilliarden verweigert und die Krankenhäuser zu Personalnot, zu Stellen- und Bettenstreichungen, Schließungen und Privatisierungen verurteilt.

Carla Boulboullé

 

 

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