Ein wahres Hauen und Stechen liefern sich die Regierungschefs der EU-Länder bei ihrem Streit über die Besetzung des Postens des EU-Kommissionspräsidenten und weiterer Führungspositionen der EU.
Es sind diejenigen, die durch den Ausgang der Wahlen von einer Welle der Ablehnung getroffen und jeder demokratischen Legitimation beraubt wurden, die sich jetzt um eine Personal„lösung“ für die EU-Spitzenpositionen schlagen, die jeweils am besten ihren Interessen entspricht; d.h. die es ihnen erlaubt, die Personalentscheidungen ihrer Bevölkerung zu verkaufen und die Diktate des Finanzkapitals in ihrem jeweiligen Land umsetzen zu können, ohne dass es sie den Kopf kostet.
Der letzte demokratische Anschein, der mit der Möglichkeit der „Wahl“ am 25. Mai zwischen zwei Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten vorgegaukelt werden sollte, geht endgültig verloren. Selbst für die Minderheit, die überhaupt noch zur Wahl gegangen ist, offenbart sich in aller Deutlichkeit die Sinnlosigkeit der Stimmabgabe.
Das unwürdige Gerangel um die EU-Personalie demonstriert die tiefe politische Zerfallskrise, in die die Schockwelle der Ablehnung die EU, ihre Institutionen und die Regierungen, die diese tragen, gestürzt hat.
Alle Regierungsvertreter sehen sich unter dem Druck des Finanzkapitals genötigt, das zerstörerischen „Reform“werk konsequenter fortzusetzen.
Die Große Koalitionsregierung Merkel/Gabriel hat den programmatischen Auftrag, die rigorose Sparpolitik voranzutreiben, sowie eine Eindämmung der Lohnkosten zu garantieren, damit die „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“ nicht gefährdet werde.
Die SPD-Minister lassen dabei nichts unversucht, um ihre Gesetzesentwürfe zum Mindestlohn und zur zeitlich befristeten Rente mit 63 – 65 als „arbeitnehmerfreundliche Korrekturen an der Agenda“ anzupreisen. Doch sie können damit nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, dass die Arbeiterschaft und Jugend in ihren Kämpfen für ihre Forderungen mit der fortgesetzten Agenda-Politik der Großen Koalition zusammenprallen.
Dabei steht die Arbeiterschaft zunehmend vor folgendem Problem: Während ihr keine andere Wahl bleibt, als nach ihren Gewerkschaften zu greifen, um ihre organisierte Kampfkraft in die Waagschale zu werfen, verstärken Regierung und Kapital den Druck auf die Gewerkschaftsführung, dafür zu sorgen, dass nicht die Sparzwänge durchbrochen noch die Wettbewerbsfähigkeit bedroht werden.
Tatsächlich konnten die Bauarbeiter, getragen von der Einheit der Arbeiter mit ihrer Gewerkschaftsorganisation, eine wirkliche Reallohnerhöhung im 1. Jahr von 3,2 % (West) und 3,9% (Ost) und im 2. Jahr von weiteren 2,6 % (West) und 3,3% (Ost) erkämpfen.
Im Tarifkampf öffentlicher Dienst erreichten die Beschäftigten nach einer kraftvollen Streikbewegung eine Lohnerhöhung, mit der sie die Schuldenbremse durchbrochen haben. Doch die Warnstreiks wurden durch die Gewerkschaftsführung vorzeitig gestoppt. Die Forderungen nach Rückeroberung der Errungenschaften des BAT für spezifische Beschäftigtengruppen wurden von der Führung fallen gelassen.
Gegen die Forderungen nach einer kräftigen Reallohnsteigerung hatten die öffentlichen Arbeitgeber gedroht, durch Maßnahmen wie Privatisierungen, Streichungen von Arbeitsplätzen und Leistungen, Lohnerhöhungen zu kompensieren, die den Anforderungen des Sparhaushaltes unter dem Diktat der Schuldenbremse widersprachen.
Auf Streikkundgebungen hatten Kollegen gefordert, dass der Verzicht auf solche Kompensationen in den Tarifvertrag aufgenommen werden müsse, um die erkämpfte Lohnerhöhung zu schützen und nicht im Nachhinein der Demontage auszuliefern. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, der nicht bereit war, diesen fest geplanten Angriff der öffentlichen Arbeitgeber – gestützt auf die Streikbewegung der Kollegen – im Tarifvertrag abzublocken, verweigert heute die Mobilisierung der Beschäftigten durch die Gewerkschaft gegen diese zusätzlichen Kürzungsmaßnahmen, mit denen der Kaputtsparkurs gegen die Kommunen noch verschärft wird.
Dagegen drängen Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder auf die Vorbereitung einer gewerkschaftlichen Mobilisierung zum Aufbau einer organisierten Kraft für den Kampf zur Finanzierung der dringend geforderten Milliarden-Investitionen zur Rettung der Kommunen.
Die Unikliniken warnen Anfang Juni, dass sie jetzt dort angekommen seien, wo sich die kommunalen Krankenhäuser schon lange befinden: Im existenziellen Notstand. Bei einem Finanzbedarf von sechs Mrd. Euro jährlich bundesweit haben die Länder nur 2,7 Mrd. Euro für die Krankenhäuser bereitgestellt (der gesamte Investitionsstau wird auf ca. 50 Mrd. Euro geschätzt).
Im Tarifkampf haben die Beschäftigten auch gegen die untragbaren Arbeitsbedingungen gestreikt, die eine verantwortliche Versorgung unmöglich machen. Wie die Kollegen der Charité, greifen auch in anderen Krankenhäusern die Beschäftigten sowie Altenpfleger nach ihren Gewerkschaften, um eine umfassende gewerkschaftliche Mobilisierung für den Kampf zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu verwirklichen.
Seit Monaten stehen die Beschäftigten bei Amazon, die alle außertariflich und unter Lohndiktat der Unternehmerwillkür, zum Teil mit Billiglöhnen, schuften, mit ver.di in Streikaktionen für einen kollektiven gewerkschaftlichen Tarifvertrag und ihre Integration in den Flächentarifvertrag des Einzelhandels.
Die bisherigen Streikaktionen haben die Entscheidungen der Konzernleitung nicht erschüttern können: Nein zu Tarifverhandlungen, Nein zur Präsenz der Gewerkschaft, Nein zu einem gewerkschaftlich garantierten Tarifvertrag, zur Integration in den Flächentarifvertrag des Einzelhandels.
Die Beschäftigten führen diesen mutigen Kampf, in dem es um alles geht, selbst um die Existenz der Gewerkschaft, unter schwierigsten Bedingungen. Der darf nicht ihnen allein überlassen bleiben.
Es gibt die Diskussion in der Belegschaft und in der Gewerkschaft.
Kann der Kampf erfolgreich sein, ohne dass die Gewerkschaft die gesamte Kraft der organisierten Beschäftigten des Einzelhandels solidarisch für den Kampf bis zur Durchsetzung der Integration der Amazon-Beschäftigten in den Branchentarifvertrag mobilisiert?
Gewerkschaftskollegen, Sozialdemokraten und politisch Engagierte haben vor den EU-Wahlen mit einer Erklärung, die bundesweit unterstützt wurde, Position ergriffen: Die Arbeiterklasse und die Demokratie, die arbeitende Bevölkerung und die Jugend, haben von den Wahlen zum EU-Parlament nichts zu erwarten! Und ebenso wenig von der Großen Koalition, die nur die Diktate der EU, die Schuldenbremse und die Zersetzung der Flächentarifverträge und Prekarisierung der Arbeit zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, die Kerngesetze der Agenda-Politik, umsetzt.
Nur die schrittweise Verwirklichung der Einheit der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen im Kampf für ihre unabhängigen Forderungen kann die Kraft schaffen, um die Politik der Großen Koalition zu stoppen.
Sie haben den Vorschlag der Arbeitnehmerkonferenz vom 15. Februar in Berlin aufgegriffen und laden alle ein, die diese politischen Positionen teilen und diesen Kampf führen wollen, sich in den nächsten Wochen zu versammeln, um die kontinuierliche Diskussion und den Meinungsaustausch zu organisieren und sich für die Unterstützung der Kollegen in ihren Kämpfen einzusetzen.
Carla Boulboullé
Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 323 vom 12. Juni 2014
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