Landtagswahlen in NRW – Testwahl für die neue Regierung unter Scholz

Auf jeden Fall werden die Wahlen am 15. Mai in dem mit 17 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesland NRW ein Prüfstein sein für die von der Scholz-SPD-geführte Regierungskoalition mit Grüne-FDP im Bund. Eine Regierung, die aus dem Umwälzungsprozess des gesamten traditionellen 5-Parteiensystems in den Septemberwahlen hervorgegangen ist und welche die Destabilisierung der politischen Herrschaftsverhältnisse in der BRD konzentriert.

Zur Einschätzung dieser Wahlen sei daran erinnert: der Zusammenbruch des alten Parteiensystems der fünf Agenda-Parteien machte Schluss mit der relativen politischen Stabilität des Herrschaftssystems unter Merkels GroKo.

Hinter den alten Namen der in den NRW-Wahlen antretenden fünf Agenda-Parteien verbergen sich die in der neuen Situation entstandenen Parteien neuen Typs.

Die alte Arbeiterpartei SPD, die sich auf die Stammwähler der Kernschichten des Industrieproletariats stützte, ist tot. Die neue Scholz-SPD stützte sich in den Bundestagswahlen im September im Wesentlichen auf fast zwei Millionen ehemalige Wähler der Union und auf Arbeiter, die mit ihrer Stimme für die SPD die CDU abwählen und einen Aufschwung der AfD verhindern wollten.

Der Auftrag des Kapitals für die neue Scholz-SPD und die von ihre geführte Regierung ist eine Offensive gegen alle bisher noch verteidigten Errungenschaften des Sozialstaates, die in dieser Zeitung wiederholt als Agenda 2.0 charakterisiert wurde.

Die CDU ist als Hauptpartei der deutschen Bourgeoise und als Staatspartei der BRD abgestürzt. Von ihrem neuen Vorsitzenden Merz wird die Umprogrammierung vorangetrieben, für eben jenen unter Druck der Krise vom kapitalistischen System geforderten Angriff auf alle Sozialstaatserrungenschaften.

Die Grünen verdanken ihren konjunkturellen Aufschwung den Wählerstimmen der Jugend und Teilen der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums, die damit ihre Ablehnung der GroKo-Parteien, CDU und SPD, zum Ausdruck bringen wollten. Die neuen Grünen spielen in der neuen Situation arbeitsteilig mit der Scholz-SPD die Rolle, unter dem Deckmantel von Grün und Klimaschutz eine Politik der industriellen Demontage (Energiewende) und der autoritären und demokratiefeindlichen Diktate der Regierung Scholz auf ihre Weise voranzutreiben.

Die neue FDP formuliert direkt die Politik der von der kapitalistischen Krise diktierten Offensive für eine „neue Wettbewerbsfähigkeit“ der Profite und Rendite des deutschen Imperialismus. Die entsprechenden von Parteichef Lindner eingebrachten Regierungsmaßnahmen erhalten von Scholz – mit kosmetischen Korrekturen versehen – ihren Segen.

Die neue Partei Die Linke erlaubt sich programmatisch radikale Forderungen, hütet sich aber, das kapitalistische System selbst infrage zu stellen. Sie exekutiert in Landes- und kommunalen Regierungspositionen die gleiche Politik Agenda 2.0 und der Einschränkungen der Demokratie im Namen des Schutzes vor der Pandemie.

„Bürger in NRW unzufrieden – keine Partei überzeugt“, titelt der Westfälische Anzeiger

Unter ihren alten Namen treten diese fünf neuen Parteien bei den Wahlen in NRW an. Und sie treffen auf die Ablehnung der gesellschaftlichen Mehrheit. Diese Ablehnung speist sich aus der sozialzerstörerischen und demokratiefeindlichen Politik der Bundesregierung unter Scholz, die von keiner der fünf Parteien ernsthaft und glaubhaft in infrage gestellt wird. Und sie wird genährt von dem Widerstand und der Wut der Bevölkerung, deren Land durch die Bundespolitik und deren Umsetzung durch die CDU/FDP-Landesregierung besonders das Ruhrgebiet in den Ruin stürzt.

An dieser schlimmen Realität zerplatzen die Wahlkampfblasen mit Versprechungen von Klimaschutz, Energiewende, sozial-ökologischer Transformation, für gute Arbeit, Bildungsgerechtigkeit, verantwortliche Gesundheitspolitik und für soziale Gerechtigkeit.

Doch nach Jahren der SPD/Grünen und dann der CDU/FDP–Regierung können solche Versprechungen kaum noch jemanden täuschen:

NRW gehört zu den fünf Bundesländern mit der höchsten Armutsquote. In den kreisfreien Städten des Ruhrgebiets und der Rheinschiene leben fast 20% der Menschen in Armut. Besonders dramatisch ist die soziale Situation in der Ruhrregion: Hier lebt jedes dritte Kind in Armut. Nach dem existentiellen Absturz der SPD im Ruhrgebiet setzt die AfD darauf, sich vor allem in dieser Region als die Partei profilieren zu können, durch die die Wähler ihren Protest gegen diesen sozialen Kahlschlag ausdrücken können.

Industrie und deren Arbeitsplätze werden demontiert und liquidiert. Allein infolge des Kohleausstiegs droht das Aus für 9.000 Arbeitsplätze direkt im Braunkohle-Abbau und für Tausende Beschäftigte bei Dienstleistern und Zulieferern.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern liegt NRW bei den öffentlichen Investitionen von Land und Kommunen mit einer Investitionslücke der letzten Jahre von rund 27 Milliarden Euro an vorletzter Stelle (DGB NRW). In der Landesverwaltung, bei Polizei, Schulen und Justiz sind 22.000 Stellen unbesetzt. In den Kitas fehlen 64.000 Fachkräfte (ver.di).

Der Investitionsstau an den Schulen wird in NRW auf zehn Milliarden Euro geschätzt. Rund 5000 Lehrerstellen fehlen. „Mehr Personal, kleinere Klassen“, fordern Schülervertreter. 73% der Bevölkerung sehen in der Schulpolitik, die sich auszeichnet durch Unterrichtsausfall, Test-Chaos, fehlende Luftfilter … eine Bankrotterklärung der Landesregierung.

Das Gesundheitswesen in NRW ist chronisch unterfinanziert

Der Investitionsstau in den NRW-Krankenhäusern beträgt insgesamt 13,8 Milliarden Euro. Es fehlen 24.000 Pflegefachkräfte in den Gesundheitsberufen. (nach offiziellen Angaben der NRW-Landesregierung, 2019)

Seit 2009 hat sich die Zahl der Kliniken um 72 auf 341 Häuser reduziert. (Statistische Landesamt von NRW). 84% der Bevölkerung in NRW lehnen Krankenhausschließungen ab. Doch nach den Plänen des jetzigen NRW Gesundheitsministers Laumann (CDU) soll die Krankenhauslandschaft, einem Konzentrations- und Spezialisierungsprozess entsprechend, neu geordnet werden.

D. h. Schließung weiterer kleinerer Krankenhäuser, Schluss mit wohnortnaher Krankenhausversorgung. Der erhoffte Synergieeffekt: Sparen an Betten und Personal, einer Politik, mit der er sich im Einklang mit Bundesgesundheitsminister Lauterbach befindet.

Die Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW – Für ALLE!“. hat bereits rund 60.000 Unterschriften gesammelt für eine wohnortnahe und am Bedarf orientierte Krankenhausversorgung für alle Menschen – vollfinanziert vom Land.

Aktuell kämpfen überall im Land Bürger für den Erhalt ihrer wohnortnahen Krankenhäuser: Sie demonstrieren gegen die Schließung des Vincenz-Krankenhauses im Essener Norden, gegen die Schließung des Krankenhauses Holweide in Köln, gegen die Schließung der Helios Klinik, sowie der Helios Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bochum…

Auf einer Konferenz am 19.1. haben 700 Beschäftigte aus den sechs Unikliniken in NRW gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft ver.di ein 100 Tage-Ultimatum an die NRW-Landes-regierung beschlossen, mit der Forderung, sofort Maßnahmen gegen den Personalnotstand einzuleiten. Die Frist endet am 1. Mai 2022, noch vor der Landtagswahl am 15. Mai.

Der Widerstand wächst

In der zweiten Hälfte des Jahres 2021 versammelten sich in NRW viele Tausende, gestützt auch auf Protest der Gewerkschaften, in mehreren Großdemonstrationen gegen das Versammlungsgesetz, das Mitte Dezember von CDU und FDP im NRW-Landtag durchgepeitscht wurde.

Gegen die Diktate, die Einschränkungen der Grundrechte und Freiheiten, die die Landesregierung von der Regierung Scholz übernommen hat, gegen den geplanten „einrichtungsbezogenen“ wie allgemeinen Impf- und Testzwang richtet sich der spontane Widerstand, zu dem seit Mitte Dezember etwa 265.000 Teilnehmer in NRW, außerhalb der Gewerkschaften, demonstriert haben.

Auch die wütende Ablehnung einer Politik, die immer mehr Menschen der Verarmung, Entlassungen und sozialer Not ausliefert, die die Schulen und die Gesundheitsversorgung in die Katastrophe treibt, kommt in den Demos und in Protestveranstaltungen  – wie auch in ganz Deutschland – zum Ausdruck.

Die gesellschaftliche Mehrheit in NRW hat nichts von den Wahlen zu erwarten.

In welcher Koalition auch immer sich die neue Regierung bildet, sie wird nicht die Forderungen der arbeitende Bevölkerung und Jugend erfüllen, die von den Massen auf Demonstrationen und in Verteidigungskämpfen formuliert werden. Diese Demonstranten, die die gesellschaftliche Mehrheit repräsentieren, wollen, wie die arbeitende Bevölkerung und Jugend in ganz Deutschland, dass endlich Schluss gemacht wird mit der sozialzerstörerischen und demokratiefeindlichen Politik.

Sie stellen die gleichen Forderungen wie in ganz Deutschland

Die Krankenhausbeschäftigten stützen sich auf die Kämpfe und Streiks in Berlin bei Vivantes und Charité für „mehr Personal“. Sie mobilisieren sich und die Bevölkerung für die Verteidigung der Krankenhäuser gegen Schließungen und Bettenabbau.

Sie fordern die Finanzierung von mehr Lehrern, kleineren Klassen, Sanierung der Schulen, und ausreichende Mittel zum Schutz gegen die Pandemie…

Sie fordern die Aufhebung aller Altschulden und Finanzierung der Kommunen zur Erfüllung ihrer sozialen Aufgaben, z.B. zur Realisierung von kommunalen Beschäftigungsprogrammen im Rahmen des TVöD /TVL);

Sie fordern die sofortige Kappung der Preisexplosion und die Verteidigung des Reallohns;

Im Konflikt mit der IG Metall-Führung fordern die Kolleg*innen die Verteidigung aller industriellen Arbeitsplätze. Kein einziger Arbeitsplatz darf wegfallen, bevor nicht ein 100%ig gleichwertiger anderer zur Verfügung gestellt ist.

Sie fordern, dass Schluss gemacht wird mit den Einschränkungen und Verboten von Demonstrationen und Versammlungen, mit den Diktaten des Impf- und Testzwangs, die als Instrumente für Entlassungen genutzt werden und dafür, den Beschäftigten das Recht auf Arbeit und Lohn zu verweigern.

Die Politischen Arbeitskreise in Verbindung mit der „Sozialen Politik & Demokratie“ bereiten ein Eingreifen von Kontakten in NRW vor, um mit den Beschäftigten und Jugendlichen über ihre Forderungen zu diskutieren, die heute in ganz Deutschland die Bevölkerung auf die Straße bringen.

Die Redaktion „Soziale Politik & Demokratie“ lädt gewerkschaftlich und politisch in diesen Kämpfen engagierte Kolleg*innen ein zur Diskussion über die hier aufgeworfenen Fragen und Positionen. Schickt Eure Stellungnahmen und Erfahrungsberichte.

Carla Boulboullé, 18. 2. 2022

 

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