Vor den Wahlen im September: „Wahlkampf nichtssagend – Wähler verdrossen“ (FAZ, 7.8.2021)

Alle Parteien und ihre Spitzenkandidaten haben als Versprechungen Klimaschutz und Digitalisierung auf ihre Fahnen geschrieben. Doch die Antwort darauf, was das für die Zukunft der gesellschaftlichen Mehrheit bedeuten wird, bleiben sie schuldig; weil sie dann „ehrlicher Weise von Verzicht reden müssten“, kommentiert die Berliner Zeitung vom 2.8.

Sie übertreffen sich mit immer gleichen bewusst vagen – aber betrügerischen – Wahlparolen. So versprechen die  Grünen „Klimaschutz mit Wirkung: sichere Arbeitsplätze.“ „Sichere Arbeit, Klimaschutz“, heißt es bei der SPD und „Klimaschutz, Jobs , Sicherheit“ bei der CDU.

„Bloß nicht die Wähler verprellen“ (FAZ 9.8.), ist die Devise aller drei Konkurrenten um das Kanzleramt.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass große Schichten der arbeitenden Bevölkerung, der Verarmten und prekär Beschäftigten, ihre Interessen von keiner der etablierten Parteien vertreten sehen. Sie drücken ihre Wut und Enttäuschung durch zunehmende Wahlverweigerung aus, die in diesen Bundestagswahlen noch höher sein wird als mit 33,8 % vor vier Jahren, der schon drittniedrigsten in der Geschichte der BRD. (Das könnte auch die AfD treffen).

Die Wahlen sind geprägt von einer tiefgehenden sozialen Spaltung, da die Wahlbeteiligung in Teilen der Oberschicht wesentlich höher ist, was eine Regierungspolitik zu ihren Gunsten fördern kann, so die Studie. Diese Entwicklung findet seinen Ausdruck in der Destabilisierung der parlamentarischen Demokratie, dem Ende des historischen Parteiensystems der BRD, das besonders geprägt ist vom „Niedergang der CDU“ und dem sich fortsetzenden Selbstzerstörungsprozess der SPD, über den auch leichte – von der Parteiführung zur Aufholjagd schöngeredete – Schwankungen der Umfragen nicht hinwegtäuschen können.

Die GroKo unter Merkel, im Dienste des Kapitals stehend, hat sich als absolut unfähig erwiesen, die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Am Ende ihrer Regierungszeit präsentieren sich Kanzlerin und Vizekanzler, Merkel und Scholz, den Medien als von der „Flutkatastrophe“ erschüttert. Hinter ihren scheinheiligen Tränen verbergen sie die Verantwortung der GroKo, die seit vielen Jahren alle notwendigen Klimaschutzmaßnahmen für die kommunale Infrastruktur der Kaputtsparpolitik geopfert hat.

In der Pandemie wie in der „Flutkatastrophe“ offenbart sich das Ausmaß an kapitalistischer Zerstörung der zivilisatorischen Lebengrundlagen der menschlichen Gesellschaft.

Es ist die Politik der GroKo, die „koste es was es wolle“, das Überleben des kapitalistischen Systems retten muss. (s. Artikel S. 4)

Die Ablehnung…

Die Bilanz der zerstörerischen Politik der Großen Koalitions-Regierung von CDU/CSU und SPD unter Merkel:

Þ 1/5. der abhängig Beschäftigten wurde in den Niedriglohnsektor geworfen;

Þ 1,1 Millionen Arbeitnehmer*innen sind in Kurzarbeit, mit erheblichen Einbußen ihrer Kaufkraft.

Þ 2020 haben 1 Million Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, davon 555.000 Minijobber, die ins soziale Aus fallen.

Þ Die Pflegekräfte bleiben im Niedriglohntarif gefangen,

Þ z.T. dramatische Personalnot und Investitionsstau herrschen in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge (an Krankenhäusern, Schulen, Verwaltung…).

Þ Und, trotz drohender neuer Pandemie-Welle, werden weiter Kliniken geschlossen oder privatisiert, Betten abgebaut….

Das ist die eine Seite der Bilanz der GroKo. Und die andere Seite?

Þ Im Februar 2019 gab es 114 Milliardäre, am 31. Dezember 2020 waren es schon 116.

Þ 2021; die Zahl der Millionäre stieg auf 1,535Millionen, nach 1,466 im Vorjahr.

Þ Die zehn reichsten Deutschen besaßen Ende 2020 zusammen 241,9 Milliarden US-Dollar – eine Steigerung von rund 35 Prozent in zwei Jahren.

Nach der Wahl – „Böses Erwachen“ (Handelsblatt, 24.6.2021)

Rund 470 Milliarden Euro Schulden in drei Jahren, das ist die haushaltspolitische Bilanz der letzten GroKo. Nicht berücksichtigt sind die 1,3 Billionen der Scholz-Bazooka, die zum weitaus überwiegenden Teil in die Kassen der Banken und Unternehmen geflossen sind, sowie die geplünderten Sozialkassen der Arbeiterschaft.

„All das ist schon jetzt absehbar, doch keine schöne Botschaft im Wahlkampf. Und deshalb folgt der Kassensturz und mit ihm das böse Erwachen für Steuer und Beitragszahler erst nach der Wahl,“ kommentiert das Handelsblatt.

Die „Kanzlerkandidaten“ halten sich deshalb jetzt kurz vor der Wahl tunlichst zurück mit öffentlichen Verlautbarungen über ihre Versprechungen von 450-500 milliardenschweren Euro-Flutungen an die Unternehmen für die Mobilitätswende, Klimaschutz und Digitalisierung, die mit „tiefen Einschnitten in allen Lebensbereichen“  und einer neuen ungleich schmerzhafteren Offensive der Kaputtsparpolitik von der arbeitenden Bevölkerung bezahlt werden muss.  Die Verteidigung der gefährdeten Wettbewerbsfähigkeit – von Profit und Rendite – der deutschen Wirtschaft verlangt schließlich „gigantische Summen“ (Merkel).

Die Stunde der Wahrheit schlägt erst nach der Wahl, u.a. mit den von allen Parteien – mehr oder weniger radikal – angekündigten Erhöhungen des CO2-Preises, was zu durchschlagenden Verteuerungen von Strom, Benzin, Heizöl und Gas führt. Alle Versprechungen, die Verbraucher, wie auch immer zu entlasten, werden sich sehr schnell als trügerisch entlarven.

Alle Parteien versprechen „faire Mieten“, doch unvergessen ist: es waren die Große Koalition, die ehemalige rot-rote Landesregierung in Berlin, aber auch die Grünen in Regierungsverantwortung, die die Gier der Miethaie nicht nur nicht gestoppt, sondern ihnen freie Bahn geschaffen haben.

Rund 2,1 Millionen Menschen bleibt in den Großstädten nach Abzug der Mieten vom Einkommen schon heute weniger als das Existenzminimum.

Hohe Renditen sind den Immobilienspekulanten weiterhin sicher.

Jede Regierung, in welcher Parteienzusammensetzung auch immer, wird nach den Wahlen der gesellschaftlichen Mehrheit eine Politik der sozialen Grausamkeiten präsentieren.

„Wir können nicht mehr“

Auch das ist eine Bilanz der GroKo unter Merkel/Scholz: Sie hat in die Krise der parlamentarischen Demokratie geführt. Und sie hat mit Lohndumping, Tarifflucht und Prekarisierung eine soziale Sprengladung aufgehäuft, deren Explosionskraft sich heute in einer Welle von Streiks und Demonstrationen andeutet.

In allen Bundesländern kämpfen die Beschäftigten in den Krankenhäusern für mehr Personal, gegen die Schließung von Kliniken und Bettenabbau. Die Kolleg*innen von Vivantes und der Charité in Berlin haben für den 23. August einen gemeinsamen dreitägigen Warnstreik für „Mehr Personal“ und „TVöD für alle“ angekündigt. Ab 30.August beginnt die Urabstimmung für einen unbefristeten Erzwingungsstreik.

Seit April organisieren sich die Beschäftigten bei der Asklepios-Klinik in Brandenburg in immer neuen Streiks für die Angleichung an den TVöD in West (das sind bis zu 10.600 Euro im Jahr mehr)

Die in der GdL organisierten Lokführer haben mit 95% für den Streik gestimmt und die Bahn am 11.-12-.8. lahmgelegt. Ihre wütende Streikbereitschaft ist vor allem die Antwort darauf, dass in Folge der Kaputtsparpolitik des Bahn-Konzerns die Arbeitsbedingungen besonders durch den Personalmangel unerträglich und mit „einem Familienleben kaum vereinbar“ sind, so ein Kollege, „der allgemeine Frust in der Belegschaft ist groß“. (s. Artikel S. 15)

Im Tarifkampf des Einzelhandels stehen die Zeichen auf Sturm. Seit Mai treten die Kolleg*innen bundesweit immer wieder in den Streik für eine wirkliche Reallohnerhöhung, gegen die zunehmende Inflationsrate von zur Zeit 3,8 %.

In vielen Protestbewegungen und auch Massendemonstrationen, sowie in den 350.000 Unterschriften in Berlin für einen Volksentscheid über die Enteignung von großen Immobilienbesitzern, drücken breiteste Bevölkerungsschichten ihre Wut über die katastrophale Wohnungsnot und Mietwucher aus.

Zig-Tausende versammeln sich in ganz Deutschland auf den Demonstrationen von Fridays-for-Future  für den Klimaschutz zur Verteidigung der menschlichen Zivilisation, gegen die Renditegier der Konzerne und Finanzspekulanten.

Schon jetzt kündigt sich in diesen und vielen weiteren Widerstandsbewegungen, z.B. an den Schulen und Unis, für die Zeit nach der Wahl der Zusammenprall der arbeitenden Bevölkerung und Jugend mit der vom Kapital geforderten brutalen Offensive gegen alle noch existierenden sozialstaatlichen Errungenschaften an, die die neue Bundesregierung – egal welcher Couleur- umsetzen muss.

Im Zentrum stehen wird die endgültige Privatisierung – und damit Demontage – des gesetzlichen Rentensystems.*

Carla Boulboullé, 17.8.2021

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* In den nächsten Ausgaben erscheint eine ausführliche Analyse zu den Programmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Die Grünen für eine private – kapitalbasierte Altersvorsorge. Sie ist auch als Vorabdruck über die Redaktion zu beziehen

 

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